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Ärztliche BehandlungDas Gespräch hat einen Stellenwert

Gute Kommunikation ist biomedizinisch messbar und für den Behandlungserfolg entscheidend, sagt die Placeboforscherin Ulrike Bingel.

Die Zeit für die ärztliche Beratung ist wichtig Foto: Keystone Schweiz/laif
Interview von Ilka Sommer

taz: Frau Bingel, Sie arbeiten als Wissenschaftlerin daran, den Placebo-Effekt besser verstehen und nutzen zu können. Wirken Placebos nicht gerade dadurch, dass wir als Pa­ti­en­t:in­nen nichts davon wissen?

Im Interview: Ulrike Bingel

Profes­sorin für Neurologie und Leiterin des Zentrums für Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Essen. Im Mai 2023 war sie Gastgeberin der interna­tio­nalen Konferenz der Gesellschaft für interdisziplinäre Placeboforschung (SIPS) in Duisburg.

Ulrike Bingel: In klinischen Studien wissen die Patientinnen und Patienten tatsächlich nicht, ob sie das Placebo oder das echte Medikament bekommen. Das nennt man Verblindung, und sie willigen dazu vorher ein. Die Studien sind wichtig, um nachzuweisen, ob ein neues Medikament überhaupt wirksam ist. In experimentellen Studien versuchen wir zu verstehen, was in Gehirn und Körper passiert, wenn Teilnehmende positiv auf ein Placebo reagieren. Da haben wir die Probanden auch im Unklaren gelassen.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es in der Erforschung des Placebo-Effekts?

Die erste wichtige Erkenntnis ist, dass Placebo-Effekte nicht durch das eigentliche Placebo bedingt sind, also durch das Medikament ohne Wirkstoff, sondern durch die Erwartung, die daran geknüpft ist. Dieser Erwartungseffekt ist in der Medizin allgegenwärtig. Ich habe eine positive oder negative Erwartung nicht nur, wenn mir jemand ein Placebo gibt, das ich für ein Medikament halte, sondern an jede Behandlung und an jedes diagnostische Verfahren. Auch an meinen Arzt oder ein ganzes Krankenhaus habe ich Erwartungen. Sie beeinflussen, wie ich auf Behandlungen reagiere.

Wie genau wirken denn Erwartungen in unserem Körper?

Am besten verstanden ist das für die Schmerzlinderung durch eine positive Erwartung. Da werden sehr komplexe neurobiologische Vorgänge in Gehirn und Körper angeregt, die sich mit funktionell bildgebenden Verfahren zeigen lassen. Das ist eine spannende Sache, denn wir können dem Gehirn bei der Arbeit zusehen. Dadurch verstehen wir immer besser, warum und in welchen Situationen bestimmte Gehirnareale vermehrt oder vermindert aktiv sind, auch welche Botenstoffe daran beteiligt sind. Allein der Glaube an die Wirksamkeit einer Behandlung schüttet schmerzlindernde Substanzen wie Endorphine und Opioide aus. Auch Dopamin und Cannabinoide spielen in bestimmten Situationen eine Rolle. Während die Schmerzen durch positive Erwartungen gelindert werden, reicht die Schmerzhemmung bis ins Rückenmark. Das ist eine sehr frühe Stufe der Schmerzverarbeitung.

Und diese Wirkung unserer Erwartungen bis ins Rückenmark lässt sich auch mit bildgebenden Verfahren zeigen?

Ja, mit bestimmten Techniken wie einem funktionellen MRT des Rückenmarks. Spannend ist, dass diese Vorgänge in Gehirn und Körper eben auch sichtbar sind, wenn kein Schmerzmittel eingenommen wurde. Wir verfügen also über eine Art körpereigene Schmerzbremse oder körpereigene Apotheke, die allein bei positiven Erwartungen aktiv wird. Bei der Depression scheinen die Mechanismen ähnlich zu sein. Wir sehen auch sehr große Effekte bei der Behandlung mit Antidepressiva. Wie Erwartungen im Immunsystem, im Herz-Kreislauf-System und in der Atmung funktionieren, ist noch nicht so gut verstanden. Auch Gegenstand der Forschung ist, warum es von Mensch zu Mensch verschieden ist. Aber wir wissen, dass die Effekte nicht eingebildet, sondern echt sind. Man kann sie messen.

Der Rat, optimistisch zu sein und Vertrauen in die Behandlung zu haben, ist sehr leicht gegeben, aber nicht so leicht umgesetzt, wenn Krankheit und Sorgen plagen.

Wichtig ist erst mal, sich klarzumachen, dass die eigene Grundeinstellung etwas mit dem Behandlungserfolg zu tun hat. Die nächste Frage ist: Was brauche ich, um eine positivere, aufgeschlossenere Haltung zu bekommen? Manchen reicht es, wenn sie 30 Jahre gute Erfahrungen mit ihrem Hausarzt gemacht haben. Andere haben ein sehr großes Informationsbedürfnis. Sie wollen sehr genau verstehen, was das Medikament in ihrem Körper macht, und sich das genau erklären lassen. Anderen Menschen hilft die Erfahrung anderer. Es ist vertrauensauslösend, wenn sie mit jemandem sprechen, der sagt: „Mir hat das total gut geholfen“.

Geht es auch darum, diese Bedürfnisse gegenüber Ärz­t:in­nen einzufordern?

Richtig, fordern Sie Ihren Behandler auch heraus! Viele Patienten haben Ängste und trauen sich nicht Rückfragen zu stellen. Das sind gerade die Patienten, die besonders davon profitieren würden, zu sagen, dass ihnen etwas unheimlich ist. „Würden Sie das Ihrer Mutter auch verschreiben?“, finde ich immer eine kluge Frage, weil Ärzte dann gezwungen sind, ein bisschen hinter ihren Leitlinien hervorzukriechen. Das einzufordern ist sehr wichtig. Es gibt viele wunderbare Ärzte, die das freiwillig machen, aber die können auch nur vor Ihren Kopf gucken. Wenn Sie Sorgen haben, lieber äußern und darüber sprechen als sie herunterschlucken.

Nun sind manche Sorgen sicherlich berechtigt. Ärztliche Aufklärungsgespräche dienen schließlich dazu, juristisch abzusichern, dass Pa­ti­en­t:in­nen von den Risiken gewusst haben. Was sollte man tun, wenn sich negative Erwartungen durch das Gespräch mit Ärz­t:in­nen nicht auflösen oder sogar verstärken?

Das ist eine schwierige Frage. Mir würde es helfen, mir vor Augen zu führen, was ich erreichen möchte und was passiert, wenn ich mich nicht behandle. Wenn nichts passiert, wovor ich Angst habe, dann würde ich mich auch nicht behandeln lassen. Aber wenn ich mich meiner Ziele vergewissere, wie dass ich keine Schmerzen mehr haben oder wieder zur Arbeit gehen möchte, kann das helfen. Ich halte es für wichtig, sich zumindest eine Offenheit für positive Erfahrungen zu behalten. Aber ich sehe jeden Tag in meiner Schmerzklinik, dass die Menschen zum Teil zehn Jahre sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. Für diese Patienten braucht man eine psychologische Unterstützung, die die Vorerfahrungen berücksichtigt. Das ist sehr schwer.

Was muss sich gesundheitspolitisch oder in der medizinischen Ausbildung verändern, damit Ärz­t:in­nen und Pa­ti­en­t:in­nen die Kraft der positiven Erwartungen besser nutzen können?

Die ersten Schritte haben wir in der Kommunikationsausbildung von Ärzten gemacht. Da haben wir einen Fuß in der Tür, aber das könnte man deutlich ausweiten. Das betrifft auch die anderen Heilberufe wie Physiotherapie und Logopädie. Kommunikation sollte nicht nur in der Ausbildung, sondern regelmäßig geschult werden. Reanimation üben alle Mediziner schließlich einmal im Jahr. Es müsste auch einen politischen Willen für mehr Forschung geben, dass man nicht nur einen Zulassungsnachweis für Medikamente hat, sondern auch weiß, wie man kommunizieren muss, damit das Medikament optimal wirkt.

Welche Rolle spielt die Vergütung von ärztlicher Kommunikation und Beratung?

Patienten bekommen leichter das fünfte Bild von ihrem Rücken, als dass mal jemand eine Stunde mit ihnen spricht. Hausärzte kriegen Schnappatmung, wenn ich „eine Stunde“ sage. Das ärztliche Gespräch und die Medizin als Heilkunst haben an Stellenwert sehr verloren – durch einen sehr starken Fokus auf biomedizinischer Forschung. Dabei ist es biomedizinisch, was bei der Kommunikation im Gehirn und Körper passiert. Dadurch werden körperliche Prozesse beeinflusst und das müsste im Vergütungssystem für Ärztinnen und Ärzte besser abgebildet werden.

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3 Kommentare

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  • Die Ärzte kriegen aber bei der Stunde nur deshalb Schnappatmung, weil die eben nicht und oder nicht angemessen vergütet wird.

    Und die Leute kriegen Schnappatmung, wenn sie noch länger als ohnehin schon auf einen Termin warten müssen. Das wird nämlich passieren, wenn der Arzt nur noch so 5 bis 8/9 Leute pro Tag behandeln kann.

  • Ich sehe, dass alle Menschen, die je ernsthaft krank waren und gesunden Menschenverstand haben, wissen, wie wichtig Kommunikation zu Gesundheitsfragen ist. Nicht nur das übrigens, sondern es ist auch Empathie gefragt. Auch das wissen alle normalen Leute.

    Ich weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn jetzt eine Forscherin kommt und behauptet Kommunikation und Empathie seien biomedizinische Hirn-Körpervorgänge, und daher müssten die Ärzte in die Weiterbildung.

    Meiner Meinung nach stimmt mit dieser Berufsgruppe etwas nicht.

    Ich kämpfte lange mit psychischen Beschwerden, die durch die Schulmedizin immer schlimmer wurden. Das wichtigste, was ich gemacht habe, dass ich gesund wurde, ist Yoga und meilenweit Abstand von Medikamenten, Psychiaterinnen und Psychotherapeuten.

    Vor drei Jahren erkrankte ich mittelgradig an ME/CFS und genau der gleiche Unsinn ging wieder von vorne los. Zum Glück kannte ich die Abgründe der Schulmedizin schon besser als mir lieb war. Ich habe nicht lange gefackelt, und mir mit einem US-amerkanischen Gesundheitsmanagementsystem für Kranke meinen eigenen Behandlungs- und Lebensfreudeplan erstellt. Ausserdem habe ich eine chinesische Ärztin, die empathisch ist, sehr gut kommuniziert, lustig ist mit chinesischen vulgären Sprichwörtern, die sie mir übersetzt, um die Gesetze vom Gesundwerden zu veranschaulichen, und last but not least eine Therapie hat. Als erstes half mir die Akupunktur hervorragend den ganzen Stress der sinnlosen und übergriffigen Abklärungen bei der Schulmedizin zu verarbeiten.

    Der Interviewten beim Überzeugen der Ärzte von der Tatsache der Grundlage der menschlichen Kommunikation in neuro-körperlich-biomedizinischen Vorgängen viel Glück! Ich habe keine Hoffnung mehr für die Schulmedizin.

  • Danke für das kluge Interview.

    Greif mal dess raus:



    “ „Würden Sie das Ihrer Mutter auch verschreiben?“, finde ich immer eine kluge Frage, weil Ärzte dann gezwungen sind, ein bisschen hinter ihren Leitlinien hervorzukriechen. Das einzufordern ist sehr wichtig. Es gibt viele wunderbare Ärzte, die das freiwillig machen, aber die können auch nur vor Ihren Kopf gucken. Wenn Sie Sorgen haben, lieber äußern und darüber sprechen als sie herunterschlucken.…“



    anschließe mich - & - sodele -



    1. Obduktion anlässlich - Tod in der Geburt.



    Zum Oberarzt “Würden Sie das den vornehmen lassen?“



    “Nein!“ - “Danke!“



    2. Von Ärzten umstellt. Schwiegersohn - hat die Gemeinschaftspraxis vom Vater im Speckgürtel von München übernommen - „klagt“ - daß gerade er verstärkt von älteren Patienten “frequentiert“ und in längere Gespräche “verwickelt“ werde.



    “Na. Da können wir uns ja quasi die Hand geben*. Vor allem aber - sei doch stolz drauf.



    Sie spüren deine Empathie - daß du sie ernst nimmst und dir es wichtig ist - im Gespräch dazu & dafür & mit ihnen zu bleiben.“

    (🤫unterm——* btw only - Empathie - ernst nehmen -



    “Bin jetzt 23 Jahre als Fahrer am Gericht und auf Ortsterminen!



    Habe aber noch nie erlebt - daß ein Richter ein Planfeststellungsverfahren verglichen hat. Und Sie haben heute drei verglichen!



    Wie geht denn sowas?!“



    Nun. Eine der Wurzeln s.o. & “…die Techniker wissen - daß ich alles verstehe!



    Was die da zusammenklempnern! - Mach ich Vorschläge - rechnen die nach!“ •



    Ende des 🎡 der Eitelkeiten).