Ärztin über Gesundheitsreform: "Kopfpauschale löst Widerstand aus"
Von der Gesundheitsreform sind viele betroffen. Deswegen könnten die Proteste größer werden als die gegen Hartz IV, sagt die Ärztin Nadja Rakowitz.
![](https://taz.de/picture/312748/14/kopfpauschi.jpg)
taz: Frau Rakowitz, könnte die Bewegung gegen die Kopfpauschale der Bundesregierung so groß werden wie die Proteste gegen Hartz IV?
Nadja Rakowitz: Die Proteste könnten sogar noch größer werden. Denn von Hartz IV fühlten sich viele Menschen nicht betroffen und kümmerten sich nicht darum. Doch von der Kopfpauschale und anderen Formen der Gesundheitsreform sind viele betroffen. Das könnte mehr Potenzial zum Widerstand haben.
Ist Geschäftsführerin des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte. Der Verband fördert Demokratie im Gesundheitswesen.
Aber Politiker der Koalition rücken doch schon längst von der Kopfpauschale à la FDP ab.
Sicherlich, es ist noch nicht klar, wer sich in der Koalition durchsetzt. Es wird vor der Landtagswahl in NRW verstärkt betont, dass es einen abrupten Systemwechsel in der Gesundheitspolitik nicht geben soll. Dabei liegt die Betonung auf abrupt. Doch auch eine stufenweise Hinführung zur Kopfpauschale ist abzulehnen, weil sie dazu beiträgt, dass das Gesundheitssystem unsozialer wird. Zudem sind wir Zeugen der Einführung einer kleinen Kopfpauschale, weil verschiedene Krankenkassen bereits einen pauschalen Zusatzbeitrag erheben.
Warum kämpfen Sie dann nur gegen die Kopfpauschale?
Es ist sicherlich das Projekt, an dem sich der größte Widerstand entzünden wird. Aber eine Bewegung gegen die Kopfpauschale reicht sicher nicht aus. Es muss darum gehen, den Fokus der Kritik auf die Unterwerfung der Gesundheitspolitik unter Kapitalinteressen zu richten.
Halten Sie die von Attac und anderen propagierte Parole "Gesundheit ist keine Ware" für mobilisierungsfähig?
Sicherlich kann diese Parole dabei helfen, ein größeres Bündnis zu schmieden. Denn noch ist es in großen Teilen der Bevölkerung weitgehend Konsens, dass Gesundheit keine Ware werden darf. Doch aus einer emanzipatorischen Perspektive kann es nicht ausreichen, nur bestimmte Refugien wie Gesundheit und Bildung aus der Kapitalverwertung herauszuhalten.
Ist nicht auch Gesundheit in Deutschland schon eine Ware?
Nein, noch nicht flächendeckend. Zum Beispiel in öffentlichen Krankenhäusern herrscht bisher noch keine Notwendigkeit, kapitalistische Profite zu machen. Durch die Konkurrenz müssen heute aber auch öffentliche Krankenhäuser wirtschaften, als ob sie Unternehmen wären.
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