: Ärzte lügen nicht
■ EuGH-Urteil: Atteste aus dem Ausland reichen für Lohnfortzahlung
Brüssel (taz) – Die italienische Familie Paletta ist nicht zu stoppen. Jedes Jahr meldet sie sich nach dem Sommerurlaub in der Heimat geschlossen krank und verlangt von ihrem deutschen Arbeitgeber Lohnfortzahlung. Gestern beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg schon zum zweiten Mal mit diesem Fall, und erneut erhielten die Italiener Recht.
Gestritten wird um den Sommerurlaub der Familie Paletta im Jahr 1989. Vier Wochen wollte der Schlosser Vittorio Paletta mit seiner Frau und seinen beiden Kindern zu Hause in Italien verbringen. Alle vier arbeiteten bei der südbadischen Brennet AG. Nacheinander meldeten sich alle vier Familienmitglieder krank. Ärztliche Atteste bescheinigten daraufhin allen vier Palettas Arbeitsunfähigkeit für weitere fünf Wochen.
Nun könnte der enge Familienkontakt durchaus erklären, warum nicht ein einziger der Palettas gesund nach Deutschland zurückkommen konnte. Was den Arbeitgeber jedoch zur Weißglut brachte, war die Tatsache, daß Familie Paletta in den vorhergehenden Sommerurlauben jeweils von der gleichen Epidemie ergriffen wurde – und jedesmal ein ärztliches Attest vorweisen konnte. Die Brennett AG verweigerte diesmal einfach die Lohnfortzahlung, wogegen Familie Paletta vor dem Arbeitsgericht in Lörrach Klage erhob.
Die Palettas stützten sich dabei auf eine EU-Verordnung zum Schutz von Gastarbeitern. Dort wurde klar gesagt, daß auch ein ärztliches Attest, das am jeweiligen Heimatort ausgestellt wurde, für die Lohnfortzahlung genüge. Wenn der Arbeitgeber Zweifel habe, könne er den Arbeitnehmer durch einen Arzt seines Vertrauens untersuchen lassen. Der von den Lörracher Richtern um Rat befragte Europäische Gerichtshof bestätigte diese Auslegung. Das var vor vier Jahren.
Doch die Brennet AG ließ nicht locker. Wie solle sie in Italien einen Arzt ihres Vertrauens finden? Sie bekomme von der italienischen Krankenkasse, bei der die Atteste der Palettas jedesmal eingehen, ja nicht einmal rechtzeitig Nachricht. Die Brennett AG klagte bis vors Bundesarbeitsgericht in Kassel, das die Frage noch einmal dem EuGH vorlegte.
Auch die Kasseler Richter wollten wissen, ob die Lohnfortzahlung nicht wenigstens dann verweigert werden könne, wenn „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“ ein Betrug vorliege. Doch die Kollegen in Luxemburg blieben hart. „Ernsthafte Zweifel“ genügten nicht. Wenn der Arbeitgeber keine Kontrolluntersuchung veranlassen könne, müsse er schon den vollen Beweis eines Betrugs erbringen.
Ganz wohl ist den Europarichtern mit diesem Spruch allerdings wohl auch nicht. Denn sie weisen ausdrücklich darauf hin, daß man die EU-Verordnung ja auch ändern könne. Schon bei ihrem ersten Paletta-Urteil war in Deutschland ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. Christian Rath
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