ÄRZTEBUND RUFT ZUR KLAGE AUF – FEHLEN NUR NOCH DIE KLÄGER: Revolution ohne Revoluzzer
Die Arbeitsbedingungen der Klinikärzte erinnern an eine Form moderner Sklavenhaltung. Sie kommen auf täglich mehr als zehn Arbeitsstunden; 60 bis 70 Wochenstunden gelten als normal. Viele Klinikchefs führen doppelte Dienstpläne: die tatsächlich gültigen, die die enormen Belastungen verzeichnen – und solche, die konform gehen mit dem Arbeitszeitgesetz, falls sie überprüft werden sollten. Würde das Arbeitszeitgesetz nicht ausgetrickst, müssten deutsche Kliniken jährlich zwischen 1,5 und 2 Milliarden Mark für Überstunden zahlen. Aber unbezahlte Überstunden verstehen sich in den meisten Krankenhäusern von selbst. Deswegen dürfen die eingesparten Personalkosten auch ruhig als das genannt werden, was sie sind: Lohnraub im großen Stil.
Ärzte sind in hohem Maße erpressbar. Seit Jahren werden mehr Mediziner ausgebildet als benötigt. Sie müssen ihre Facharztausbildung in der Klinik absolvieren. Weil die Nachwuchsmediziner von den Krankenhäusern abhängig sind, schlucken sie alles: aneinander gekoppelte Jahresverträge ebenso wie das Überstundenmarathon unter Lohnverzicht. Der Konkurrenzkampf ist groß; die Furcht vor Repressalien nicht minder. Und jahrelang funktionierte das System aus Stillhalten und Ausbeuten wie geschmiert. Am Ende der anstrengenden Assistenzarztzeit lockte die eigene Praxis mit einem Einkommen, das die schlimmen Klinikjahre bald vergessen ließ.
Die Zeiten wandeln sich – langsam. Selbst der jüngste Arzt im Praktikum weiß, dass die nachfolgende Freiberuflichkeit keine üppigen Honorare mehr bereithält. Parallel zu dieser Erkenntnis wird die Lage in den Kliniken unerträglich. Und endlich rufen die Standesvertreter dazu auf, gegen die Fron zu klagen.
Der Gang zum Arbeitsgericht hätte sogar Aussicht auf Erfolg. Jetzt müssen sich nur noch ein paar wahre Revoluzzer finden, die auch offen als Kläger auftreten. Bislang zirkulieren lediglich Listen, auf denen sich Klagewillige anonym eintragen. Aber irgendwann muss doch mal Schluss sein mit der Angst. Selbst bei Ärzten. ANNETTE ROGALLA
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