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StadtgesprächErich Rathfelder aus SarajevoAchtung! Atmen gefährdet Ihre Gesundheit. Frische Luft gibt’s nur bei den Reichen oben auf dem Berg

Habt ihr schon gehört? Die deutschen Autokonzerne haben Affen- und Menschenversuche mit Autoabgasen angestellt!“ Die „große“ Lejla blickt empört um sich. In einem Café im Zentrum Sarajevos verstummen die Gespräche. Alle blicken auf die groß gewachsene, elegante Enddreißigerin, die während des Krieges ihre Jugend in Frankreich zubrachte und sich jetzt als Französischlehrerin durchs bosnische Leben schlägt. „Die könnten alles einfacher haben, die bräuchten nur zu uns zu kommen und mit uns eine Langzeitstudie zu machen.“ Wieder blickt sie um sich. Alle lachen.

Denn jeder weiß, dass Sarajevo und Tuzla zu den Städten mit der stärksten Luftverschmutzung in Europa gehören. In Bosnien sollen laut UN die meisten Todesfälle infolge von Luftverschmutzung in Europa zu vermelden sein. Nur Prishtina, die Hauptstadt des Kosovo, ist da eine „Konkurrenz“.

Seit die Heinrich-Böll-Stiftung eine App mit Luftverschmutzungsmesswerten verbreitet, kennen sich die Leute in Sarajevo aus. Auf der Skala von „Zrak-Eko akcija“ ist 50 der Grenzwert, in Sarajevo lag der Wert in den letzten Tagen um die 150, im Dezember mehrmals über 200. Bei 300 wäre es lebensgefährlich.

Vor zwei Jahren war es einmal so weit. Damals stand die Luft still. Sarajevo liegt in einem Talkessel und hat mit Inversionswetterlagen zu kämpfen. Wenn wochenlang kein Wind weht, wenn wegen der Kälte die Kohleöfen dampfen und dazu die Dieselautos ungestört ihre Abgase verpuffen, füllt sich die Luft wie in Peking. Wer konnte, floh aus der Stadt in die Berge, in die vikendnicas, die Wochenendhäuschen.

„Dass bei schlechter Luft die Schulen weiterarbeiten, ist doch ein Skandal,“ sagt Zlata, die zwei Töchter hat. Die 35-jährige sportliche Frau ist Lehrerin, begeistere Bergwanderin und Joggerin. „Manchmal weiß ich ja gar nicht mehr, wo ich noch joggen soll, das geht ja nur außerhalb der Stadt.“ Zlata engagiert sich politisch in der Nasa Stranka, einer linksliberalen Partei, die im Zentrum Sarajevos über 30 Prozent der Stimmen hält, im Land insgesamt jedoch eine Splittergruppe ist. „Aber nicht einmal unsere Partei engagiert sich für temporäre Fahrverbote von Dieselautos, für Maßnahmen zur Luftreinhaltung.“ Man halte es nicht für populär, der armen Landbevölkerung die alten Dieselautos wegzunehmen, und es geschieht auch nichts, um Kohleöfen durch andere Heizungssysteme zu ersetzen.

„Die Verwaltung schläft“, beklagt sich auch ein Mitarbeiter von Zrak-Eko am Telefon. „Inspektoren sind schnell dabei, Restaurants wegen Hygienemängeln zu schließen, aber die Umweltsünder kommen ungeschoren davon.“ Die Erneuerung des Heizungssystems in Sarajevo oder die Schaffung umweltschonenderer Verkehrswege – solche Projekte überforderten offenbar die bosnischen politischen Führer, beklagt er.

Wer hinter dem Stadion und dem Zoologischen Garten die Straße nimmt, die in die Berge führt, weiß dann auch, warum. Von hohen Mauern abgeschirmt, bieten die Villen der Elite einen herrlichen Blick über die Stadt hinüber zu den schneebedeckten Bergketten des Igman und des Bjelasnica-Massivs. Man sieht auch die Dunstglocke über der Stadt, die unten am Fuße des Berges die Straße in Nebel taucht. Welch ein Glück, hier oben zu stehen und die Sonne und die klare Luft zu genießen. Wozu sollte man sich hier über Luftverschmutzung Gedanken machen?

Im Café horchen die Menschen auf, als über Radio die Nachricht kommt, in der Kosovo-Hauptstadt Prishtina sei bei einem Messwert von 300 der Verkehr gestoppt und ein generelles Fahrverbot ausgesprochen worden. Die große Lejla hat ihr schönstes Lächeln aufgesetzt. „Geht doch.“ Alle blicken auf mich. „Du kennst doch das Kosovo, wie kommt denn das?“ Ja, in Prish­tina regiert die Oppositionspartei Vetëvendosje, und der Bürgermeister ist nicht nur Menschenrechtler, sondern auch integer und umweltbewusst …

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