Achse des Indierock von Gerrit Bartels : Junges Spinnertum
Es gehört zurzeit zu den Lieblingsbeschäftigungen junger Bands, Berge von Referenzen aufzutürmen, auf dass sich jeder ältere Popfan an irgendeiner Stelle wiederfindet und wissend mit der Zunge schnalzt (oder wahlweise den Ohren schlackert) und jeder jüngere an irgendeiner Stelle einhakt und sagt: Det isses, da will ich mehr von. Aktuellstes Beispiel, ausnahmsweise mal nicht aus England, ausnahmsweise mal nicht in den frühen Achtzigerjahren wildernd, sondern aus den ländlichsten USA, genauer Louisville, Kentucky, und verliebt in die Siebzigerjahre: My Morning Jacket. Man dürfte bei dieser Band aus dem Namendroppen gar nicht mehr rauskommen, so viele Verweise lassen sich auf ihren bislang vier Alben seit ihrem Debüt 1999 finden, von Progrock bis Soul, von Neil Young bis Lynyrd Skyrd, von Pink Floyd über Cheap Trick bis zu Robert Palmer, von den zeitgenösssichen Brüdern im Geiste wie Flaming Lips über Phoenix bis zu Radiohead.
Man kann sich „Z“, ihr neues Album, aber auch einfach vornehmen, das Barclay-James-Harvey-artige-Unsinn-Märchencover ignorieren (was die Musik trotzdem nicht schlecht illustriert) und aus dem Schwelgen nicht mehr herauskommen. Spinnermusik! Schlinger-Grooves! Monster-Pop! Meisterwerk!
Allein zwischen jedem der ersten vier Stücke bedarf es ausgedehnter Verschnaufpausen, so überladen wirken die mit ihren übereinander geschichteten Keyboard-Läufen, ihren entspannten Pfeifen und bösen Rockgitarren, und nur in Dosen kann man sich die schön-aufdringliche Falsettstimme von My-Morning-Jacket-Mastermind Jim Jones zu Gemüte führen. Die ganz großen Gesten eben, der ganz große Irrsinn. Dinosauriermusik, aber locker aufgeschäumt.
My Morning Jacket: „Z“ (Sony/BMG)
Smarte Brüchigkeit
Eine der hartnäckigsten Legenden des Pop besagt, dass richtige Popmusik, also Pop mit den berühmten drei Ausrufezeichen oder den Beatles im Blut oder den rundesten Songfeinheiten immer nur aus England kommen kann, Beach Boys hin, Big Star und dBs her. Hört man aber eine Band wie Rogue Wave und deren zweites, jetzt auf Sub Pop veröffentlichtes Album „Descended Like Vultures“, bekommt man den Eindruck, der bessere Pop und die feineren Songs kommen von jeher aus den Staaten, so leicht und fluffig und vertrackt und eingängig und jubilierend und warm ist das alles, was an Songmaterial auf diesem Album zu hören ist.
Rogue Wave sind das Baby eines jungen Herren namens Zach Rogue, und der hat, um im Indiepopland zu bleiben, sich viel bei Elliott Smith und den SubPop-Labelkollegen The Shins abgehorcht, die smarte Brüchigkeit des einen, das in einer Tour die Welt umarmen wollen von den anderen. „Publish My Love“ ist bohrend schöner California-Pop, „Catform“ und „Love’s Lost Guarentee“ bescheren zweifelhafte Traurigkeiten, aus denen nur ein schöner Chor heraushelfen kann, und „10: 1“ beweist, dass Rogue Wave es auch einmal krachen lassen können, ohne gleich von dem ganzen schönen Popkonzept ablassen zu wollen. Dass sie bei allem Pop im Herzen ganz fest und ganz unten mit gefallenen amerikanischen Helden sind, also eben mit jemand wie Elliot Smith, auch mit Kurt Cobain (Rock!), beweist die Widmung ihres Albums: In Gedenken an Tristan Egolf, den jungen Schriftsteller und Ex-Punkmusiker, der sich Anfang dieses Jahres das Leben nahm.
Rogue Wave: „Descended Like Vultures“ (SupPop/Cargo)
Kanadische Uncoolness
Kanada. Sup Pop. Isaac Brock. Das ist das Dreigestirn, aus dessen Kraftfeld die aus Montreal stammende Band Wolf Parade ihre Energie bezieht. Kanada ist gerade das Land, das den Indierock mit immer wieder neuen, aufregenden Bands versorgt, von A Silver Mt. Zion Mount über Arcade Fire bis zu den Stars. Anders als ihre Landsleute haben Wolf Parade aber keinen besonders hippiesken Gemeinsinn, sondern bevorzugen das klassische Line-up: vier junge Männer, Gesang, Gitarren, Schlagzeug, aber keinen Bass. So klingen ihre Songs auch nicht übersprudelnd, sondern spröde und ein wenig so, als wäre das Studio mit Umzugskartons austapeziert worden. Das Wolf-Parade-Debüt „Apologies To The Queen Mary“ will erobert werden, es gibt dem Indierock, was dem Indierock ist, und erzieht dann junge Herzen fürs Leben. Mit anderen Worten: uncool by nature.
So was schätzt man inzwischen auch wieder bei Sup Pop, dem Label, das sein Headquarter noch immer in Seattle hat und nach langen Jahren des Niedergangs (Warner!) seit einigen Jahren wieder unabhängig und in Ruhe eine gute, neue und interessante Band nach der anderen veröffentlicht und dabei auch ein weites Genre-Spektrum aufbietet, von wegen Grunge (siehe auch Rogue Wave).
Man könnte aber auch auch sagen, Kanada hin, Sup Pop her: Wolf Parade sind die neuen Modest Mouse. Was wiederum nicht von ungefähr kommt, denn Wolf Parade sind von Modest-Mouse-Mastermind Isaac Brock entdeckt und produziert worden. Allerdings sind Wolf Parade immer dann am besten, wenn sie Isaac Brock einen guten Mann im Trailer-Park sein lassen und ungezügelt nach vorn spielen, in Songs wie „Shine A Light“ oder „Disco Sheets“, in denen sie die Indierock-Tür einen Spalt breit öffnen und den Pop hereinspazieren lassen.
Wolf Parade: „Apologies To The Queen Mary“ (Sub Pop/Cargo)