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Archiv-Artikel

Ach Gott, Köhler!

betr.: „Gott segne unser Land“, taz vom 25. 5. 04

Ach Gott, Köhler! Das Problem seiner Rede war ja vor allem, dass sie schlecht war. Schlecht geschrieben, schlecht vorgetragen. War das wirklich die Bundesversammlung? Oder sind wir da in eine Abteilungsfeier der Innenrevision geraten? So kam bei dem „Ich liebe unser Land“ ja auch keine patriotische Andächtigkeit auf. Vielmehr stellten wir uns vor, wie das so ist, wenn Hotte Köhler Deutschland liebt. Und ob es dabei zum Austausch von Körperflüssigkeiten kommt. Bibelkundigere mögen über die historischen Beziehungen zwischen Geldwechslern und Pharisäern nachgedacht haben, für alle anderen war das doch nur Floskel. Und so meinte es doch auch der President elected, dem noch der Jetlag in den Knochen steckte und vielleicht auch die automatisierte Art von Gottesbeschwörung, die an seinem letzten Arbeitsort zum guten schlechten Ton gehört.

Auf der Bundespräsidenten-Schulung der Bundeszentrale für politische Bildung wird man ihm die notwendigen Grundlagen schon beibiegen. Dass er – zum Beispiel – nicht der Commander-in-Chief ist und auch keinen Atomschlag befehlen darf. Dass hierzulande das Staatsoberhaupt eigentlich nur Unterschriften-Automat und Grüßaugust ist. Und dass die Republik dem Amtsinhaber ein bisschen gestattet, eine persönliche Note einzubringen, solange das Amt nicht zu sehr beschädigt wird. Der Buchhalter Horst Köhler soll darum auch wie ein Buchhalter reden können. Konsequent hätte er dann natürlich mit einem „In Gott vertrauen wir“ schließen müssen. So steht es ja schließlich auf den Greenbacks.

Der ganze Rederest? Eschatologische Beschwörung des 21. Jahrhunderts, das die Deutschen verdummt und verarmt und von polnischen Softwareentwicklern deklassiert sehen wird. Und natürlich dieser sattsam bekannte Topos: „Wissensgesellschaft“. Also jener grundlegende Wandel der kapitalistischen Produktion, der auf dem Umstand fußt, dass heute viel mehr Konsaliks gedruckt werden und viel mehr Pornoseiten elektronisch zugänglich sind als um 1900. Und dass das Industrieproletariat 2004 einen FH-Abschluss in Powerpoint-Präsentation hat. Kannten wir schon, Köhler, haben wir in den letzten IHK-Mitteilungen gelesen. Damit der Neue nicht missverstanden wird: In seinem „Land der Ideen“ sind Ideen solche, die man patentieren lassen kann. Also ein funktionierendes Navigationssystem für den 3er BMW, eine „nachhaltige Entwicklung“ deshalb, weil es auch in die 5er-Baureihe übernommen werden kann. Die Aufklärung hingegen ist allenfalls eine „kulturelle Wurzel“ und die Weimarer Klassik ein „Standortvorteil“ in der globalisierten Vermarktung von Tourismuskonzepten für den nahen Osten.

Im Übrigen, lieber Designatus, wir haben hier schon eine europäische Identität, da muss nicht mehr viel gewonnen werden. Auch haben wir hier erlebt, dass „Weltoffenheit und Patriotismus“ sich nicht ausschließen. Unsere Patrioten waren auch in der ganzen Welt zu Hause: In Tobruk, in Tonga, Deutsch-Südwest, kurz vor Moskau und im fernen China, in Ausschwitz und bei Sewastopol. Daraus haben wir ein wenig gelernt und jüngst drauf verzichtet, andere „weltoffene Patrioten“ in Bagdad oder Nadschaf zu treffen.

Deutschland hat sich schon gewandelt, werter Horst Köhler. Die Buchhalter heißen jetzt Controller, die Audis sind deshalb auch schnittiger geworden. Der Geist ist dem Geld gewichen, die Bonner Republik der Berliner, der Konsens der Demokraten dem Nonsens der Kanzlerwahlvereine. An Stelle der Dehlers sind die Westerwelles, auf dem Stuhl von Ludwig Erhard sitzt ein Boulevard-Journalist und Vulgär-Ökonom und die Deutschland AG hat ihren Börsengang nicht überlebt. Um Bernd dem Brot, einem großen Deutschen, hier das letzte Wort zu geben: „Mist“ und – „Vergiss es!“

SASCHA PH. RAUSCHENBERG, Düsseldorf