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Archiv-Artikel

globalogie: brief aus montevideo Abwarten und Mate trinken

Seit einem halben Jahr bin ich in Uruguay, lerne Spanisch und lasse den Stress der Zwingli-Geldmetropole Zürich hinter mir

Kürzlich las ich in der uruguayischen Tageszeitung La Republica die Schlagzeile „Nur noch wenige Jahre, und Uruguay erreicht einen fiskalischen Überschuss wie anno 1950“. Das verspricht viel, denn damals sprach man von Uruguay als von der „Schweiz Südamerikas“. Sie bewegt sich also doch, die Wirtschaft Uruguays. Auch die offizielle Arbeitslosenquote ist mit 7,7 Prozent tiefer als zum landesweiten Antritt der Linksregierung „Frente Amplio“ vor drei Jahren.

Mäße man jedoch die Temperatur der Beschleunigung allein daran, was man als Initiative, Energie und Angebot wahrnimmt, käme man kaum auf optimistische Voraussagen. Doch mich freut es, dies zu lesen. Es verspricht Veränderung für die Millionenstadt Montevideo. Noch erinnert sie an eine alte Dame, die sich die straffende Gesichtscreme nicht leisten kann.

Trotzdem, Montevideo eine Augenweide, am schönsten in den alten Wohnquartieren, wo verspielte Bauhaus-Moderne Tür an Tür steht mit alten einstöckigen Häusern im Kolonialstil, deren bis zu fünf Meter hohe Innenräume fürs europäische Empfinden der reinste Luxus sind. Uruguay hat viel Platz.

Man ist in Amerika, dem Kontinent mit der wunderbaren Eigenschaft der Großräumigkeit. Die von hohen Platanen gesäumten Straßen vieler Wohnquartiere sind ausladend breit. Beim Morgenspaziergang kann ich auf sie ausweichen von den Gehsteigen, die täglich neu gepflastert sind mit dem Kot der Kläffer, die den tierliebenden Uruguayern auch ihre vierbeinigen Alarmanlagen sind. Mein hektisches nördliches Gehtempo passe ich gezwungenermaßen schnell der hiesigen Bedächtigkeit an, damit die Hunde nicht falsche Signale wittern und in Rage kommen und die Katzen nicht erschreckt wegspringen.

Auffallen ist schlecht, denn man zieht die Aufmerksamkeit der unverhohlen starrenden Männer noch mehr auf sich – Dumpfbacken! – und man wird Zielscheibe vieler Jugendlicher, die zum Teil in extremer Armut leben. Nicht wenige von ihnen konsumieren die schreckliche „pasta base“, den toxischen Abfall aus der Kokainproduktion. In meiner Handtasche vermuten die Burschen fette Beute. „Perfil bajo“ ist also angesagt. Nach drei Raubversuchen habe ich meine Lektion gelernt. Sie sind letztlich glimpflich verlaufen.

Raub nennt man das übrigens nicht, belehrt mich eine ehemalige Kämpferin der Stadtguerilla Tupamaros, sondern „Enteignung“.

Einverstanden. Glück hatten die Schlawiner nur einmal, als sie meine mir lieben luftigen Puma-Turnschuhe ergatterten – ein Markenartikel, der hier nur überteuert zu haben ist. Nach der anfänglichen Wut über den zu verschmerzenden Verlust musste ich lachen, denn die Situation war eigentlich lustig. Im Kino hätte es mich amüsiert zu sehen, wie der „Enteigner“ sich anpirscht an die im Park Lesende und sich die hinter ihr liegenden Schuhe schnappt. Seither schaue ich den Muchachos auf die Füße. Item, meine liebe Gastgeberin, brachte mir anderes Schuhwerk, denn barfuß über die kotverschmierten Gehsteige … da hört der Spaß auf.

Seit einem halben Jahr bin ich in Montevideo, um Spanisch zu lernen und um den Stress der Zwingli-Geldmetropole Zürich abzuschütteln. Mit der erlernten Sprache soll sich mir nun vieles eröffnen. Doch die europäisch anmutende Großstadt lässt vergessen, dass ich im tiefen Süden bin, in einem der neoliberalen Hinterhöfe der Welt.

Montevideo entpuppt sich als langweilige Stadt. Die linke Regierung bemüht sich zwar um soziale und kulturelle Fragen, doch die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet für niedrige Löhne und geht nicht aus. Cafés und Bars sind rar. Immerhin gibt es die Cinemateca Uruguaya. Seit Jahrzehnten betreibt sie einen zu großen Teilen ideellen Aufwand und bietet für wenig Geld gutes Kino – mitnichten nur elitäre Filmkost.

Warum er denn nie mitkäme, frage ich den befreundeten Handwerker. „Ach weißt du, ich trinke lieber einen Mate mit Freunden und höre etwas Musik. Dann ruhe ich mich aus.“ Wo doch das Mate-Kraut so viel Koffein enthält!

Der Becher wird sogar mitsamt Thermosflasche voll heißem Wasser zum Spazieren mitgetragen. Meine Erklärung auf die trotzdem hartnäckig stabile Bedächtigkeit: Das Koffeinhoch wird laufend ausgeruht.

In der Altstadt im Hafengebiet treffen Sommertouristen, unter ihnen Blitzbesucher von den anlegenden Kreuzfahrt-Schiffen, auf der Suche nach Erfrischungen oft auf verschlossene Türen. Die Montevideaner machen Ferien. Man gönnt sich ja sonst nichts. FRANZISKA OLIVER