Abschluss Chaos Computer Club-Kongress: "China tritt uns in den Arsch"
Wie Computerspezialisten Menschen helfen, deren Regierungen sie für freie Meinungsäußerung körperlich bedrohen – Abschluss des großen Hackertreffens.
Zensur, Überwachung – und das alles mit Hilfe von westlicher Software: Kaum ein Thema wurde auf dem am Freitag endenden CCC-Kongress in Berlin so ausführlich besprochen wie die Netzpolitik autoritärer Regime: Menschen kommen wegen im Internet kommunizierter Aussagen zu Tode und Softwarefirmen verdienen daran.
Doch wer sich wehren will, muss erst einmal verstehen – und die komplizierten Verflechtungen von westlichen Firmen und autoritären Regimen öffentlich machen. Deshalb startete CCC-Vorstandsmitglied Andy Müller-Maguhn die Seite buggedplanet.info, die das Wissen der Nutzer über solche Verbindungen sammeln soll.
Iran contra Tor
Allen, die in Syrien, Iran oder China über das Internet Informationen außerhalb des Landes bekannt machen oder das Regime zu kritisieren wollen, hilft das jedoch wenig. Auch ihnen versuchen Hacker aus der westlichen Welt beizustehen. Zum Beispiel die Programmierer der Software Tor. Ursprünglich war Tor ausschließlich als Anonymitätstool gedacht: Ein Netzwerk leitet die Bewegungen der Tor-Nutzer im Internet über so verschlungene Wege leitet, dass sie für einen Beobachter von außen nicht mehr nachvollziehbar sind.
Inzwischen arbeiten die Tor-Programmierer vornehmlich gegen staatliche Zensur. Etwa indem sie Nutzern Brücken anbieten über die sie Tor auch dann erreichen, wenn der Dienst an ihrem Standort geblockt ist.
Auf dem Kongress erzählt der Tor-Programmierer Jacob Appelbaum von Syrern, die wegen Aussagen im Netz erschossen oder ins Gefängnis geworfen wurden. "Ich werde das nicht zulassen, wenn ich kann", sagt er. Doch das ist schwer. Denn der Dienst ist vielerorts so populär, dass die Regime ihn unbedingt ausschalten wollen. Sie blockieren Einstiegspunkte in das Tor-Netzwerk, kappen verschlüsselte Verbindungen. "China tritt uns in den Arsch", gibt Tor-Erfinder Roger Dingledine zu – dort hatte man schon vor über einem Jahr die geheimen Brücken identifiziert.
Der Iran schaffte es Anfang 2011, Tor zu blockieren – bis die Hacker nachbesserten. Eine besonders harte Nuss, so die beiden Vortragenden, sei Syrien – dort werde fast der gesamte Internetverkehr gespeichert, Verbindungen zu verschleiern, sei besonders schwierig.
Ein Bekannter aus Ägypten habe ihm gesagt, dass jeder ihm bekannte Aktivist, der etwas anderes als Tor benutzt habe, inzwischen im Gefängnis sitzt, erzählt Dingledine. "Das ist eine sehr schlechte Nachricht. Denn wir sind alles andere als perfekt." Sein Kollege Appelbaum mahnt, keine falschen Versprechungen bezüglich Diensten wie Tor in Zensurstaaten zu machen und Menschen dort in falscher Sicherheit zu wiegen.
Alte Modems für Ägypten
Auch Stefan Urbach warnt vor Heilserwartungen. Urbach ist Hacktivist bei Telecomix. Die Gruppe Telecomix hat sich während des Arabischen Frühlings für ein freies Netz eingesetzt: Als auf dem vorläufigen Höhepunkt der Revolution in Ägypten das Mubarak-Regime die Internetverbindung des gesamten Landes kappte, schickten die Telecomix-Hacker alte Modems und andere Technik dorthin, schalteten Telefonleitungen, über die sich die Ägypter an der Zensur vorbei ins Netz einwählen konnten.
Viel Bandbreite war das nicht – aber genug, ein paar Informationen rauszuschicken. Auch in Syrien versucht Telecomix, den Menschen eine regimekritische digitale Kommunikation zu ermöglichen – trifft dabei aber auf die gleichen Probleme wie Tor.
Es sei meist zu spät, derartige Unterstützungsprogramme dann zu bauen, wenn der Aufruhr bereits im Gange ist. Denn wer hat in Extremsituationen schon den Nerv, sich ein neues Programm zu erarbeiten? Programme wie Facebook, Twitter oder Skype wären im Iran oder bei der Arabischen Revolution so ausgiebig zum Einsatz gekommen, weil sie etabliert seien. "Wir", sagt Urbach, "müssen etwas Besseres bauen."
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