piwik no script img

Abschied von den Rolling Stones

■ Bereits 1973 waren die Stones für Jonas Überohr am Ende

Die Rolling Stones, die größte Rock'n'Roll-Band der Welt, tourt wieder einmal durch Europa... Ob nicht die, die da jetzt unsisono auf den Rolling Stones herumhacken und ihnen vorwerfen, sie wären nicht mehr, was sie mal waren, damit nicht bloß ihren geheimen Jammer darüber ablassen, daß sie selbst nicht mehr sind, was sie waren, als die Rolling Stones noch waren, was sie waren, als sie noch die Stones und sie, ihre heutigen Verächter, noch Stones-Fans waren?

Jonas Überohr hat sich die Sache mal vor Ort angesehen. Nun ist er kuriert. Er hatte etwas Party-Ähnliches besucht, das als Pressekonferenz der Rollings Stones angekündigt war. Was in der großen Stadt für die In-Group der Musikszene gilt, war ziemlich zahlreich versammelt, um einen Blick auf die Stones - oder vielleicht einen Blick von ihnen - zu erhaschen. Selbst Rudolf Augstein, einen ganzen Harem im Schlepptau, hatte sich eingefunden, um seinen Damen etwas zu bieten, das selbst er ihnen nicht alle Tage kaufen kann.

Dahin ist es also mit ihnen gekommen, dachte er beklommen. Sollte es denn möglich sein, sich Abend für Abend unter Arschlöcher zu begeben, Abend für Abend mit Arschlöchern umzugehen, ohne selbst eins zu werden?

Inzwischen bezeichnet sich sogar Angelika Feldmann, zusammen mit Gisela Schlüter Prominenten-Tratsche dieser unsäglichen Springer-Postille mit Namen 'Funkuhr‘, als Fan von Mick Jagger. Genau das wäre vor elf Jahren nicht möglich gewesen. Es wäre auch vor vier Jahren noch nicht möglich gewesen. Daß es heute möglich ist, das kann doch nicht nur an Angelika Feldmann, es muß doch auch an Mick Jagger liegen.

Mit beträchtlicher Verspätung tauchte zunächst bloß Mick Jagger auf, der von irgendwelchen wichtigen Leuten gleich ins Separee komplimentiert wurde, wo bereits das Fernsehen wartete, das ja bekanntlich immer den Vorrang hat. Die Öffentlichkeit blieb ausgeschlossen, und man hatte sich weiter in Geduld zu fassen. Danach ließ der Star sich willig unter die Prominenz geleiten und blieb unerreichbar für gewöhnliche Leute. Keith Richards, der irgendwann plötzlich durchs Getümmel fegte, wirkte da schon etwas verwegener. Aber auch er hielt sich an seine Bekannten und schien im übrigen gesonnen, sich einen anzusaufen. Das taten, notgedrungen, nachher auch die sonstigen Anwesenden, so daß der Abend wenigstens unter diesem Aspekt nicht verloren war.

Wenn nämlich überhaupt jemals gestimmt haben sollte, daß die Message, die die Stones mit ihrer Musik verbreiten („Wir versuchen, unserem Publikum vorzumachen, wie man sich selbst befreit“, sagte Mick Jagger einmal), etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun hat und von eigenen Erfahrungen gedeckt ist (Erfahrungen allerdings, die auch die ihrer Hörer sind), dann stimmt das sicherlich jetzt nicht mehr. Einen besonders befreiten Eindruck schienen ihm die beiden Steine nicht zu machen. Sie wirkten eher wie Leute, zu deren Job es gehört, sich auch noch die Nächte mit irgendwelchen anderen Leuten, mit denen sie nichts am Hut haben, um die Ohren schlagen zu müssen.

Die Teenies, die bei dem Konzert dann herumliefen, schienen auch nicht besonders beeindruckt zu sein. Viele von ihnen waren so jung, daß sie, als die Stones ihren ersten Hit hatten, sicherlich noch in den Windeln lagen, was einem höchst eindrucksvoll illustrierte, wie lange die Sache mit den Stones inzwischen schon läuft und daß es eigentlich unbillig wäre, von ihnen noch musikalisch Neues zu erwarten. Auch darin, daß sie sich auflösten, nachdem sie die Grenzen ihrer musikalischen Möglichkeiten als Gruppe erreicht hatten, sind die Beatles den Stones eben voraus gewesen. Nachdem sie also jetzt endgültig gesellschaftlich in sind, wird man sagen müssen, daß sie ansonsten endgültig out sind. Man kann sie, auch wenn das irgendwo weh tut, getrost unter den Teppich kehren.

Helmut Salzinger, 1973 in 'Rock um die Uhr‘, Verlag Head Farm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen