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■ In der Türkei ist die Verfassungsreform gescheitertAbschied von Europa

Bis vorgestern konnte der türkische Außenminister Inönü die Zweifler an „Demokratie und Menschenrechten“ in der Türkei stets auf ernsthafte Reformen in seinem Lande verweisen. Es war jedoch kein Geheimnis, daß Initiativen wie die Verfassungsdebatte allein dem Wunsch der Türkei entsprangen, der Zollunion von Europa beizutreten. Sehr überzeugend waren die kosmetischen Bemühungen bislang nicht gewesen, obwohl das Parlament bemüht war, einen Minimalkonsens noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Die Rücknahme des Reformpakets ist als Erfolg der Gegner der Europaorientierung zu bewerten, die nicht nur in Kreisen der Fundamentalisten um die Wohlfahrtspartei RP zu finden sind.

Die Stärke dieser Front war in letzter Zeit immer deutlicher geworden. Staatsminister Ayvaz Gökdemir hatte dabei den Vogel abgeschossen, als er drei Fraktionsvorsitzende im Europaparlament als „Prostituierte“ bezeichnete und dies später im Fernsehen bekräftigte. Regierungschefin Tansu Çiller zog keine Konsequenzen aus diesem „Ausrutscher“ ihres Partei- und Kabinettskollegen. Die allgemein in der Türkei verbreitete Stimmung, daß Ratschläge aus der westlichen Welt den Interessen von Separatisten gelten, hat nun auch die bislang eher von pragmatisch denkenden Technokraten geprägte Regierung erfaßt.

Für regierungsunabhängige Organisationen im In- und Ausland wird es in Zukunft noch schwerer werden, in den Entscheidungsgremien der Türkei ein offenes Ohr für die berechtigten Anliegen zu finden. Anzeichen für den verschärften Kurs folgten der Erklärung von Frau Çiller auf dem Fuße. Yavuz Önen, der Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung der Türkei, und Nazmi Gür aus dem Vorstand des Menschenrechtsvereins gehören zu den über 200 Personen, die als Beobachter eines Prozesses gegen Politiker am 6. Juli festgenommen wurden. Sie wurden gestern zum Staatsanwalt in Ankara gebracht. Aber anstatt sie zu entlassen, schickte er sie wieder zur Polizei mit der Andeutung, daß sie dort bis zum 20. Juli verhört weden können.

Ebenfalls gestern verlautete aus dem Außenministerium, daß der Jahresbericht von amnesty international „politische Ziele verfolge“ und „den Menschenrechten schade“. Die inhaltliche Kritik der Organisation wurde als „Übertreibung“ und „Verallgemeinerung“ abgetan. Mit einer solchen Einstellung wird es die Türkei in Gremien wie der OSZE und dem Europarat schwer haben, ein positives Image zu bewahren. Es stellt sich aber schon jetzt die Frage, ob daran noch ein Interesse besteht. Helmut Oberdiek

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