Abschied mit Tränen: Der Bulle schießt nicht mehr
Mit Fabian Boll nahm eine Identifikationsfigur Abschied von der Fußballbühne.
HAMBURG taz| Es flossen reichlich Tränen, als Fabian Boll am Sonntag am Millerntor verabschiedet wurde. Ein letztes Mal durfte er zum Saisonabschluss gegen Erzgebirge Aue (2:2) das Team des FC St. Pauli als Kapitän auf den Rasen führen, dann war für ihn Schluss nach zwölf Jahren als Profifußballer. Jeder Ballkontakt löste spitze Jubelschreie aus, und als der Scheidende mit einer seiner gewohnt robusten Balleroberungen (Gegenspieler Guido Kocer wurde anschließend verletzt ausgewechselt) die zwischenzeitliche 2:1-Führung einleitete, kannten die Ovationen keine Grenzen.
Während seines Profilebens hat Boll immer nur in Diensten des FC St. Pauli gestanden und war doch permanent fremdgegangen. Als einziger Teilzeit-Profi im Bundesliga-Geschäft hatte der gebürtige Bad Bramstedter immer auch als Polizist gearbeitet, auf der Hamburger Wache 17. Ihr verdankt er seine Rückennummer, die nach dem Willen der Fans nicht wieder vergeben werden soll.
Als letzter Verbliebener der Truppe, die von der Regional- bis in die Bundesliga aufstieg, aber auch als kantiger, nicht verbiegbarer Typ mit eigener Meinung genießt Boll längst Kultstatus; und es ist schon ein wenig kurios, dass die polizeikritische Fanszene des Hamburger Zweitligisten gerade einen kickenden Polizisten zu ihrem „Fußbollgott“ erkoren hat. Da hilft nur ein selbstironischer Umgang, wie ein T-Shirt mit Bolls Silhouette und dem Slogan: „Schieß doch Bulle!“
Der Abschied des 34-Jährigen, dessen Knochen und Muskeln am Ende nicht mehr mitmachten, ging nicht geräuschlos über die Bühne. Als Trainer Roland Vrabec den nach langer Verletzungszeit wieder genesenen Mittelfeldspieler gegen Aalen nicht in den Kader nahm, weil er ohne Spielpraxis sei, prasselte auf Vrabec in den sozialen Medien ein Shitstorm ein, an dem sich auch ehemalige Mitarbeiter und Spieler des Clubs beteiligten. Der Vorwurf: Vrabec habe nicht verstanden, dass es beim FC St. Pauli nicht nur um das sportliche Optimum ginge. Beim Umgang mit verdienten Spielern, so der Vorwurf, mangele es dem Verein an Respekt. Denn auch dass ein Florian Mohr (29) trotz starker Leistung aufs Abstellgleis geschoben und Florian Kringe (31) mit einem Vertragsangebot zu stark reduzierten Bezügen fast vergrault wurde, stößt vielen im Vereinsumfeld sauer auf.
„12 Jahre Fußballheld, nun nur noch Beamtengeld! – wir sehen uns auf der Straße“, war einer der Transparent-Slogans mit denen Boll nach 271 Liga-Spielen in Braun-Weiß verabschiedet wurde. Doch die Wahrheit liegt weiter auch auf dem Platz: Als Trainer soll Boll an den Club gebunden werden und darüber hinaus noch ein Abschiedsspiel am 11. Oktober erhalten. MARCO CARINI
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!