Abschiebung nach Helenenstraßen-Razzia: Italien? Nigeria? Egal!
Das Verwaltungsgericht unterstellt einer Frau, ihre Aufenthaltserlaubnis für Italien gefälscht zu haben. Obwohl ein Nachweis fehlt, soll sie nach Nigeria abgeschoben werden.
Knappe zwei Stunden dauert der Flug von Bremen nach Bergamo, von dort sind es noch einmal 30 Kilometer in ihren Heimatort, ein Dorf in den lombardischen Bergen. Doch das wird Jennifer I. wohl sobald nicht wiedersehen. Nach einem Beschluss des Bremer Verwaltungsgerichts soll die 28-Jährige nach Nigeriga abgeschoben werden, aus dem sie nach eigenen Angaben vor sechs Jahren nach Italien geflohen ist. Seit 2006 sei sie mit einem Italiener verheiratet, 2009 hätten die italienischen Behörden die Ehe anerkannt, erzählt sie.
Doch das glauben ihr die deutschen Staatsdiener nicht. Auch ihr Personalausweis und ihre Aufenthaltserlaubnis für Italien seien "mit großer Wahrscheinlichkeit gefälscht", schreibt das Amtsgericht, das vor zwei Wochen ihre Inhaftierung im Abschiebegewahrsam angeordnet hat. Eine Begründung für den Verdacht fehlt. Das Gericht führt nur ein Telefonat mit einem Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) an, der versucht hatte, ihre Personalien zu überprüfen.
Das BKA aber, sagt Jennifer I.s Anwältin Christine Graebsch, habe bereits in einem vergleichbaren Fall behauptet, einer Frau fehle die Aufenthaltserlaubnis für Italien. Nach einem Anruf bei der zuständigen Behörde in Italien sei klar gewesen, dass der BKA-Beamte falsch lag, sagt Graebsch. Das Ergebnis: Die Frau durfte nach Italien ausreisen. Graebsch: "Ich verstehe nicht, warum man nicht in diesem Fall das Gleiche macht und die fragt, die es wissen müssen."
Das erklärt sich mit einem Blick in den jüngsten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem Graebschs Widerspruch gegen die Abschiebung abgelehnt wurde. Darin steht, dass Jennifer I. kein Recht auf eine Abschiebung nach Italien hat, Deutschland könne sie genau so gut in ihr Geburtsland verfrachten. Die Ausländerbehörde plane die Abschiebung nach Nigeria. "Hierfür ist eine Klärung der aufenthaltsrechtlichen Situation nicht erforderlich." Das wiederum steht im Widerspruch zu einem Schreiben der Ausländerbehörde, die angekündigt hatte, sie nur dann nach Nigeria abzuschieben, wenn die Abschiebung nach Italien nicht möglich sein sollte.
Doch die Ausländerbehörde geht dem nicht weiter nach. Rainer Gausepohl, Sprecher des Innensenators, sagte gestern, die Anwältin könne doch selbst in Italien anrufen. Und: "So ein komplexer Fall kann nicht mit einem Anruf geklärt werden." Warum das Telefonat mit dem BKA-Beamten ausreichte, konnte er nicht erklären. Obwohl also innerhalb von elf Tagen nicht geklärt werden konnte, ob Jennifer I. nicht - wie die andere Frau - nach Italien einreisen kann, wurde sie am Freitag um vier Uhr morgens aus ihrer Zelle geholt, um sie zum Flughafen zu bringen. Ziel: Lagos, Nigeria.
Dass sie trotzdem noch hier ist, hat Jennifer I. einer einzigen Person zu verdanken: Sich selbst. "Sie wollten mir meine italienischen Dokumente nicht geben", erzählt sie auf Englisch, "deshalb habe ich mich geweigert zu gehen." Und: "Lasst mich einfach gehen, ich komme nie wieder."
Warum sie überhaupt hier ist - darüber spricht sie, die nach außen selbstbewusst und wütend wirkt, sich aber für ihre Nervosität entschuldigt - nicht gerne. Das gehe niemand etwas an, sagt sie. Und: "Im not a baby", angesprochen auf die Darstellung von Polizei und Medien, sie sei wie 14 weitere Frauen als Opfer von Zwangsprostitution bei einer Razzia in der Helenenstraße festgenommen worden.
"Es ging doch nie um Menschenhandel", sagt ihre Anwältin Christine Graebsch. Ziel der Aktion sei von vornherein gewesen, die westafrikanischen Frauen, die fast alle eine Aufenthaltserlaubnis für Italien oder Spanien hatten, aber hier nicht arbeiten durften, abzuschieben.
In den meisten Fällen kamen diese dank Graebsch frei und konnten freiwillig ausreisen. Nur noch drei sitzen außer Jennifer I. in Abschiebehaft und werden wahrscheinlich nach Westafrika abgeschoben. Eine von ihnen hat laut Graebsch ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis für Italien. Wegen Jennifer I. hat sie Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt.
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