Abschiebeknast: Zimmer ohne Aussicht: 65 Euro
In Grünau sitzen mehr Abschiebehäftlinge ein – weil andere Bundesländer das Gefängnis mitnutzen. Das Land verdient daran.
Im Abschiebegefängnis in Grünau sitzen deutlich mehr Menschen ein als in den letzten Jahren. Aber nicht etwa, weil das Land Berlin nun öfter Abschiebehaft verhängen würde. Vielmehr nutzen Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern den Knast mit – und die Berliner Landeskasse verdient sich so ein kleines Taschengeld.
In den letzten zwei Jahren saß mitunter nur ein einziger Gefangener in Grünau ein. In diesem Jahr waren es bisher im Durchschnitt zwischen 17 und 20 Menschen – allerdings kommt von den derzeit 17 Inhaftierten nur ein einziger aus Berlin. 11 kommen aus Sachsen, 5 aus Mecklenburg-Vorpommern. Zusätzlich sitzt ein sächsischer Abschiebegefangener im brandenburgischen Eisenhüttenstadt.
Der Freistaat Sachsen praktiziert seit Januar keine Abschiebehaft mehr auf seinem Territorium und schickt seine Abschiebehäftlinge stattdessen nach Berlin und Brandenburg. Mecklenburg-Vorpommern inhaftiert seit Mitte Dezember in Grünau.
Den kirchlichen Seelsorgern in Grünau zufolge stellen Gefangene aus Sachsen seit Jahresbeginn die Mehrheit in Grünau. Viele von ihnen sind Syrer und wurden in Sachsen von der Bundespolizei aufgenommen, bevor sie ihren Asylantrag stellen konnten. Jetzt wird aus der Haft heraus entschieden, ob sie in einen anderen EU-Staat zurückgeschoben werden können, um dort Asyl zu beantragen.
Hintergrund der Hin- und Herschiebereien von Flüchtlingen ist das geltende EU-Recht. Das schreibt vor, dass Abschiebegefangene nicht mehr in JVAs einsitzen sollen, wie das ein großer Teil der Bundesländer aber lange praktiziert hat. Auf der Grundlage des neuen EU-Rechts haben sich bereits Abschiebegefangene, die in Sachsen, Bayern und Niedersachsen in Justizvollzugsanstalten einsaßen, in die Freiheit geklagt. Berlins Innensenator Frank Henkel hatte auf der letzten Innenministerkonferenz im November diesen Bundesländern das Grünauer Gemäuer als Alternative angeboten.
Die Inhaftierung von Abschiebegefangenen aus anderen Bundesländern bringt der Berliner Landeskasse durchaus Vorteile. Denn zahlen muss, wer den Haftantrag stellt: also die Bundespolizei oder das Bundesland Sachsen beziehungsweise Mecklenburg-Vorpommern. Ein Hafttag in Grünau schlägt immerhin mit 65 Euro zu Buche. Das ist für Berlin offensichtlich so attraktiv, dass die Schließungspläne für den Abschiebeknast Grünau gerade überdacht werden – obwohl, bei 214 Haftplätzen, die Auslastung immer noch denkbar niedrig ist.
„Die Prüfung ist jedoch noch nicht abgeschlossen“, erklärt eine Sprecherin der Innenverwaltung. Man prüfe nun Kooperationen nicht mehr nur mit Brandenburg, wie in den vergangenen Jahren, sondern auch mit „einem erweiterten Kreis von Bundesländern“, heißt es aus der Innenverwaltung. Und: „Nicht alle denkbaren Alternativen stellen auf eine Aufgabe der Liegenschaft in Grünau ab.“
Dabei ist allerdings fraglich, ob Sachsen auf Dauer in Berlin inhaftieren wird. Denn nach Angaben von Thomas Ziegert, Sprecher des sächsischen Innenministeriums, plant der Freistaat derzeit den Bau eines eigenen Abschiebeknasts in Leipzig.
Für die Insassen hat die Haft in Berlin Vor- und Nachteile. Der katholische Haftseelsorger Ludger Hillebrandt weist darauf hin, dass es in Berlin öfter als in anderen Bundesländern gelingt, Gefangene wieder freizuklagen, wenn die Haftanträge rechtswidrig waren. Die katholische Kirche unterhalte einen Rechtshilfefonds für Anwaltskosten. „Hier sind viele Anwälte ansässig, die im Ausländerrecht erfahren sind. Zwei Drittel aller Verfahren, die wir über unseren Rechtshilfefonds finanzieren, enden mit der Freiheit der ehemals Inhaftierten.“
Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram weist allerdings auch auf die Trennung der Gefangenen von ihren Familien in Sachsen hin. „Mir sind Fälle bekannt, wo Teile der Familie im Berliner Abschiebeknast saßen, andere Teile hingegen in Sachsen wohnten und niemand wusste, wo der andere Familienteil ist.“ Das sei weder mit deutschem noch mit europäischem Recht vereinbar, so Bayram.
Sie wolle Henkel im Innenausschuss fragen, „ob er sich hier zum Handlanger anderer Landes- und Bundesbehörden machen lässt“. Auch Bayrams Kollegin Elke Herrmann (Grüne) aus dem Sächsischen Landtag kritisiert die praktizierte Familientrennung. „Das geht gar nicht.“
Sie sieht in der Inhaftierung in Berlin allerdings ebenfalls Vorteile. „Hier sind die Haftbedingungen besser als in sächsischen JVAs. Die Inhaftierten dürfen telefonieren, sich im Gebäude frei bewegen und selbst kochen. Es gibt zudem gewachsene Hilfsangebote durch Seelsorger und Anwälte.“ Darum plädiert Herrmann gegen den Neubau eines Abschiebeknasts in Sachsen.
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