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Absage für Gauweilers AIDS–Katalog

■ Bayerisches Verwaltungsgericht bezweifelt Tauglichkeit von Zwangsmaßnahmen / Gruppenzugehörigkeit rechtfertigt nicht Ansteckungsverdacht / Ehemaliger Fixer muß vorerst nicht zum Zwangs–Test

Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - Ein unter AIDS–Verdacht stehender ehemaliger Fixer muß sich vorerst nicht dem vom Staatlichen Gesundheitsamt Rosenheim angeordneten Zwangs–Test unterziehen. In ihrer Entscheidung stellt die Neunte Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts in München nicht nur die Rechtmäßigkeit und die Tauglichkeit des Bayerischen Maßnahmenkatalogs zur Bekämpfung der Immunschwäche in Frage, sondern hält darüber hinaus bei der Übermittlung von Listen sogenannter ansteckungsverdächtiger Personen durch die Polizei an die Gesundheitsämter einen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz für möglich. Der Nürnberger Anwalt Karl Heinz Becker wertet den Beschluß als „eine wichtige und ermutigende Vorentscheidung“. Im Juli letzten Jahres legte die Rosenheimer Kriminalpolizei dem Staatlichen Gesundheitsamt eine Auflistung von Personen vor. Nach Akten der Polizei lägen Anhaltspunkte vor, daß die betreffenden Personen „intravenös drogensüchtig“ seien. Auch der Name von Walter X. (Name von der Redaktion geändert) befindet sich auf der Liste. Sechs Wochen später lädt das Gesundheitsamt Walter X. zu einer „Aussprache und Beratung“ vor. Dort lehnt er eine Blutentnahme für den HIV–Test ab, da er seit vier bis fünf Jahren nicht mehr spritze. Zudem lebe er „aidsbewußt“ und ein 1985 durchgeführter AIDS–Test sei negativ ausgefallen. Bei seinen Ermittlungen stößt das Gesundheitsamt dann auf ein Urteil des örtlichen Amtsgerichts. Weil Walter X. u.a. aus einer selbst angebauten Cannabis– Pflanze „2,37 g Marihuana“ gewonnen habe und Betäubungsmittel im Besitz hatte, war er im März 1987 zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Das Gesundheitsamt lädt Walter X. daraufhin „zum Zwecke der Vornahme eines HIV–Antikör pertests“ für den 22.9. vor. Walter X. erhebt dagegen Widerspruch. Für den 29.9.87 ordnet das Gesundheitsamt eine Blutentnahme an. Für den Fall des Nichterscheinens wird „polizeiliche Vorführung und zwangsweise Blutentnahme“ angedroht. Da die sofortige Untersuchung im besonderen öffentlichen Interesse liege, erklärt das Gesundheitsamt dieAnordnung für sofort „vollziehbar“. Walter X. erhebt dagegen Widerspruch und beantragt die Aussetzung des Sofortvollzugs bis zum Hauptsacheverfahren. Die Landesanwaltschaft in München beharrt dagegen auf den Sofortvollzug. Die Eindämmung von AIDS müsse höher bewertet werden als „das Interesse des Antragstellers, seine Verpflichtung zum HIV–Test bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens hinauszuschieben“. Nach dem von Innenstaatssekretär Gauweiler am 19.5. letzten Jahres vorgelegten AIDS–Maßnahmenkatalog sei die Annahme eines Ansteckungsverdachts aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit gerechtfertigt.Genau das bezweifelt jetzt das Bayerische Verwaltungsgericht. Zwar falle AIDS unter die Vorschriften des Bundesseuchengesetzes, doch sei zu prüfen, „ob allein die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe jemanden zum seuchenrechtlichen Störer macht“, und ob diese Zugehörigkeit für die Annahme eines Ansteckungsverdachts ausreiche. Zudem hält die Kammer es für fraglich, ob das für Einzeluntersuchungen bei konkreter Gefahrenlage abgestellte Instrumentarium des Bundesseuchengesetzes für vorbeugende Untersuchungen ganzer Bevölkerungsgrupppen tauglich ist. Das Gericht bezweifelt generell die Tauglichkeit und Erforderlichkeit der im Gauweiler–Katalog aufgelisteten Zwangsmaßnahmen. Im vorliegenden Fall überwiege das private Interesse von Walter X. an seiner körperlichen Unversehrtheit. Die Erforderlichkeit des Zwangstests müsse in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden.

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