Abgesang auf das Sommerloch: Die Haustier-Tragödien
"Keine GEZ-Gebühren für Gähn-TV" oder der "Killer-Wels" Kuno: Früher gab es noch echte Sommerloch-Geschichten. Doch dieses Jahr scheint das Sommerloch die Influenza erwischt zu haben.
BERLIN taz | Es hatte etwas Verlässliches, Warmes, Vertrautes. Wenn wieder eine dieser Meldungen über die Ticker lief oder via Bild-Zeitung mit großen Lettern unters empörungswillige Volk gestreut wurde, wussten wir: Der Sommer ist da. Und mit ihm das Sommerloch, in dem auch die absurdesten Politikerforderungen, Haustierträgödien und andere Monsterereignisse ihren Platz in den Nachrichten fanden.
Über Jahre meldete sich stets im Juli, ganz selten auch erst Anfang August, irgendein Hinterbänkler aus den Tiefen des Bundes- oder eines Landtags mit einer so wohlfeilen wie populistischen Ansage. Wegen der vielen Wiederholungen bei ARD und ZDF in der Ferienzeit sollten in den Sommermonaten die GEZ-Gebühren sinken: "Weniger Gebühren für Gähn-TV im Sommer!", forderte 2004 der CDU-Medienexperte Günter Nooke.
"Dieses Wochenende über 44 Stunden Wiederholungen - und dafür zahlen wir auch noch TV-Gebühren!", empörte sich die Politik 2005 in Bild. Das war praktisch für die Überschriftenredakteure, die sich immer wieder derselben verlässlichen, warmen, vertrauten Versatzstücke bedienen konnten.
Auch 2007 machte da keine Ausnahme: "Gähn-TV! Politiker will Gebühren-Erhöhung stoppen", schrieb Bild über "das Gähn-TV-Wochenende bei ARD und ZDF - 865 Minuten Wiederholungen". Empört hatte sich "Erwin Rüdderl (51), medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Rheinland-Pfalz". Dass der Mensch nun eigentlich Rüddel heißt und sich nur noch über gut 14 statt 44 Wiederholungsstunden aufregen konnte, hätte damals schon zu denken geben müssen. Denn Rüddel war der bislang letzte sommerliche Gebührenrufer in der Wiederholungswüste.
2008 war urplötzlich kein Ton mehr zu vernehmen. Auch 2009 droht es sehr still zu bleiben. Selbst CDU-Mann Rüddel hat dieses Jahr Wichtigeres vor: Er kandidiert im September für den Bundestag. - Das Sommerloch ist krank, sehr krank - und wird sich wohl nicht mehr erholen.
Was waren das für Zeiten, als 2001 Kuno, der "Killer-Wels", in einem Tümpel in Mönchengladbach wohnte und ganze Dackel zum Frühstück verspeiste! Wer erinnert sich noch an Kaiman "Sammy", der 1994 im benachbarten Neuss baden ging und eine ganze Region in Atem hielt? Dann die Aufregermeldungen, dass Mallorca zum 17. Bundesland werden soll - oder wenigstens Franz Beckenbauer Bundespräsident; ganz abgesehen vom Gesetz, das Männer zum Sitzpinkeln zwingen sollte.
Vergangenes Jahr gab es wenigstens noch die halbwegs sommerlochtaugliche Forderung der Bundestagskinderkommission, Überraschungseier wegen des "besonderen Gefahrenpotenzials bei der Unterscheidung zwischen essbaren und nicht essbaren Teilen" zu verbieten. Und 2009?
Nein, mit dem Sommerloch wird es nichts mehr: Krümmel krümelt, in Afghanistan ist Krieg, Opel wird jeden Tag an jemand anderen verkauft. Und zu allem Überfluss wahlkämpft das Land an allen Fronten. Selbst in Schleswig-Holstein, wo Peter Harry Carstensen bislang ganzjährig für Saure-Gurken-Zeit sorgte, selbst dort wird jetzt wohl neu gewählt. Es ist zum Weinen.
Auch und gerade für Journalisten: Anstatt dass in den Redaktionsstuben Grabesruhe bei mildem Lichte herrscht, jede eingehende Agenturmeldung - 12 statt 120 in der Stunde - mit Jubel begrüßt wird, fangen neue Chefredaktionen an. Werden Magazine mal eben - wie gerade die Springer-Musiktitel - von München nach Berlin umgezogen. Streiten die Verleger um die Aushöhlung des Pressekartellrechts.
Wo aber bleibt die Zeit zum Durchatmen, zum Gehirnlüften und Schwachsinnglauben, wenn das Sommerloch dem Klimawandel zum Opfer fällt? Oder anders gefragt: Wo ist es hin?
Die Antwort findet sich im schnöden Monat Januar: Da stürzten sich die vereinigten Medien in Kölle am Rhein auf den ersten türkischen Karnevalsverein TKVD, der von "zeigen wollen, dass das kölsche Brauchtum auch mit muslimischen Grundsätzen zu vereinbaren ist" faselte und einen Prunkwagen für den Rosenmontagszug mit riesigem Schnauzbart vorstellte. Von FAZ bis taz - wir sind gern drauf reingefallen (das Ganze war Teil der höchst intelligenten RTL-Comedy "TV-Helden", die zur Strafe floppte). Wir freuen uns jetzt schon auf den nächsten Januar - aufs Winterloch.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm