Abgeordnete fordern Information: Rätsel um Vorschul-Daten
Kita-Leitungen berichten von Kindern, die in der Vorschule sitzen bleiben. Laut Senat gibt es darüber keine Zahlen. Eine Analyse der Schülerdatei könnte helfen.
Die Sache klingt kurios. In Hamburg blieben Kinder bereits in der Vorschule sitzen und müssten ein Jahr wiederholen. Das berichteten zwei Kita-Leiterinnen aus Eimsbüttel und Altona vor der Sommerpause in der taz. Es handele sich um Kinder, die schon als vierjährige als sogenannte "Kann-Kinder" in die Vorschule kommen, und nach Ablauf des Schuljahres als noch nicht schulreif gelten.
Der Druck auf die Eltern, Kinder früh in die Vorschule zu geben, sei groß. Es reiche oft, einen ausländischen Namen zu haben, dann werde von der Schule viel unternommen, berichtete die Kita-Leiterin Angela Jänke. Unter anderem würde Eltern gedroht, dass ihr Kind später keinen Platz in der 1. Klasse der Schule bekommen könnte.
Sowohl die Linksfraktion als auch die CDU wollten es genauer wissen und stellten unabhängig von einander schriftliche Anfragen zu dem Thema. Sie fragten unter anderem nach den Zahlen der Wiederholer, um zu klären, ob es sich um Einzelfälle handelt oder nicht.
Doch in den Antworten zeigte sich der Senat nicht sehr aufklärungsfreudig. Eine Wiederholung der Vorschule sei "regelhaft nicht vorgesehen", hieß es in der Antwort, die die CDU-Politikerin Karin Prien im Juni erhielt. Deshalb wäre eine Statistik darüber "ohne Erkenntnisgewinn".
Der Abgeordnete der Fraktion Die Linke, Mehmet Yildiz, machte Ende August einen neuen Anlauf. Doch auch dann war die Verwaltung nicht schlauer. Über Wiederholung in der Vorschulklasse lägen "keine Daten vor", erfuhr er.
Selbst die Frage, wie viele Kinder mit vier Jahren in die Vorschule starten, wird nicht zentral erhoben. Eine Abfrage aller Schulen sei in der einen Woche, die für die Beantwortung einer solchen Anfrag zur Verfügung stehe, nicht möglich.
Aufgebracht hat das Thema der alternative Wohlfahrtsverband Soal. "Für Vorschulen wird so aggressiv geworben, dass dort nicht wenige Kinder unter fünf Jahren sind", sagt Außenvertreter Elimar Sturmhoebel. Unter den "Kann-Kindern" seien auch Sitzenbleiber: "Wir wären in der Lage, Einzelfälle und Namen zu nennen". Behördenvertreter hätten eingestanden, dass dies vorkommt. "Uns wurde zugesichert, dass man das beenden möchte", sagt Sturmhoebel.
Er hält den zu frühen Vorschulbesuch auch aus einem anderen Grund für problematisch: Diese Kinder werden auch im Rahmen der neuen Ganztagsbetreuung an Grundschulen (GBS) betreut.
Doch hier seien die Personalschlüssel fast doppelt so schlecht wie in der Kita. Vier- und fünfjährige Kinder müsse man aber schon aus Gründen der Aufsichtspflicht mit mehr Personal betreuen. Die Behörde habe Bereitschaft signalisiert, darüber zu verhandeln.
Die Vorschulen erleben einen Boom. Wie berichtet, gab es in diesem Schuljahr mit rund 8.000 Anmeldungen so viele wie nie zuvor. Karin Prien findet die Antworten auch vor diesem Hintergrund nicht befriedigend. "Es wäre dringend nötig, Zahlen über Wiederholer zu erheben und auch die Ursachen zu analysieren", findet sie. In Zukunft müsse dies geschehen.
SPD-Schulsenator Ties Rabe verspricht: "Wir werden prüfen, ob und wie eine solche Datenbasis hergestellt werden kann, weil das mehrfache Besuchen einer Vorschule eine absolute Ausnahme sein muss." Derzeit habe sein Haus keine Erkenntnisse.
Auch Schulleitungen haben Interesse, die Sache aufzuklären. Man könne die Daten finden, sagt ein Rektor, der ungenannt bleiben möchte. Das zentrale Schülerregister enthalte diese Information tatsächlich nicht.
Dieses bilde nur eine Momentaufnahme des laufenden Jahres ab. Anders sei dies bei der Lehrer- und Schülerdatei (LUSD). Hier sei für alle Kinder eine Spalte mit dem Merkmal "Vorjahr" vorhanden. Stünde dort auch "Vorschule", ließe sich die Zahl der Wiederholer auslesen.
Würde also erneut eine große schriftliche Anfrage gestellt, für die vier Wochen Zeit bleibt, könnten diese Informationen theoretisch ans Tageslicht treten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers