: Abdrehendes Krankenhaus
■ Lars von Triers The Kingdom-Hospital der Geister ist bestimmt kein Film für Hypochonder
Kann es etwas Geisterhafteres geben als deutsche Krankenhausserien? Professoren in weißen Kitteln dürfen die Führer-Ideologie, die im deutschen Chefarztwesen einen bequemen Unterschlupf findet, mit Jovialität abdämpfen. Gesichter, die man sich eigentlich nur als verhinderte Triebtäter denken kann, bewahren als Frauenärzte mit ihrer grenzenlosen Güte türkische Putzfrauen vor einer Abtreibung. Und die Patienten sind vor allem eins: anfangs krank, am Ende glücklich.
Auf den deutschen Film, der dies alles mal zurechtrückt, wartet man schon eine ganze Zeit vergeblich. Immerhin aber kommt jetzt ein dänischer Film in die Hamburger Kinos, mit dem man sich die Wartezeit ganz hübsch vertreiben kann: The Kingdom von Lars von Trier, Untertitel: „Hospital der Geister“.
Er spielt in einem Riesenkrankenhaus in Kopenhagen, der Krönung des dänischen Krankenhauswesens, „The Kingdom“ genannt. Zynische Oberärzte, nette ältere Patientinnen, hübsche Krankenschwestern, Laboratorien und Operationsszenen: All das, was man von einer Krankenhausserie erwartet, ist in diesem Film. Lars von Trier holt die Zuschauer sozusagen bei den Klischees ab. Um den Film dann im Verlauf seiner viereinhalb Stunden Länge zuerst ganz allmählich, später immer offensichtlicher abdrehen zu lassen.
Jeder der Ärzte, so stellt sich allmählich heraus, hat Dreck am Stecken. Da wimmelt es von Kunstfehlern und Vertuschungsversuchen, von Intrigen und Gaunereien. Und spuken tut es in dem Krankenhaus sowieso. Die Grundidee des Films, der bei den Festspielen in Venedig für Aufsehen sorgte: Eine Soap-Opera-Dramaturgie wird überführt in eine Spukgeschichte. Lustig und sehenswert macht ihn dabei die Ernsthaftigkeit, mit der Lars von Trier den Aberwitz des Krankenhaussystems und die Skurrilität der einzelnen Personen zu ihrem Recht kommen läßt. So viel hintergründiges Augenzwinkern hätte man dem Regisseur von Element Of Crime und Europa gar nicht zugetraut.
Stellenweise hat The Kingdom allerdings einen Stoß in New-Age-Plattitüden (Vergleiche mit Twin Peaks sind gar nicht so falsch). Dann läßt sich der Film als Geisterbeschwörung aus Rache an der Hybris menschlicher Wissenschaft lesen. Das Verdrängte kehrt zurück, und im geheimen Zentrum jeder Menschheitsbeglückung (hier: der Gründung des Krankenhauses zu Beginn des Jahrhunderts) steht ein Verbrechen (hier: der Mord an einem unehelichen Kind).
Solche eindeutige Dechiffrierung wird aber zerstreut durch den Witz des Films – und durch die Kameraführung. Im Stile des Reality TV wischt, stolpert und fährt die Kamera durch die unendlichen Krankenhausgänge, daß es eine Freude ist. Kein Film für Hypochonder und Frauenärzte, dafür lustig. Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen