Abchasien und Südossetien anerkannt: Russland provoziert den Westen
Für Merkel ist Russlands Politik völkerrechtswidrig. Doch Moskau lässt sich davon nicht einschüchtern. Medwedjew erkennt die Unabhängikeit der abtrünnigen Gebiete an.
MOSKAU/WARSCHAU taz Russland hat die Unabhängigkeit der beiden von Georgien abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien anerkannt. Um 15 Uhr Moskauer Ortszeit verkündete der russische Präsident Dmitri Medwedjew im ersten Kanal des staatlichen russischen Fernsehens, dass er ein entsprechendes Dekret unterzeichnet habe. Dem war eine Sitzung des russischen Sicherheitsrates in der Sommerresidenz des Präsidenten in Sotschi vorausgegangen.
Medwedjew begründete den Schritt mit den kriegerischen Ereignissen im Kaukasus. Die Unabhängigkeit der Republiken sei die einzige Möglichkeit, "das Leben der Menschen dort zu schützen", sagte ein verkrampfter Kremlchef mit versteinerter Miene. Mehrfach hätten die Völker Südossetiens und Abchasiens "um die Unterstützung ihrer Unabhängigkeit gebeten". Russland respektiere den freien Willen der Völker und habe auf der Grundlage des in der UN-Charta formulierten Selbstbestimmungsrechts gehandelt.
Allerdings, so räumte der Kremlchef ein, sei die Anerkennung der Unabhängigkeit keine leichte Entscheidung gewesen. Die Staatenwelt solle nun dem russischen Beispiel folgen. Der Kremlchef wies das russische Aussenministerium an, mit den neuen "Staaten" diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Doch kommt in Südossetien die "Souveränität" einer unverblümten russischen Annexion gleich. In Abchasien stehen die Dinge anders. Dort begreift man die Unabhängigkeitserklärung auch als eine Chance, sich von Russland zu emanzipieren, was noch zu einigen Konflikten führen dürfte.
Waleri Galtschenko, Vorstandsmitglied der Kremlpartei Vereinigtes Russland, fürchtet keine weitreichenden Reaktionen aus dem Westen auf den völkerrechtswidrigen Akt des Kreml: "Der Westen wird gar nichts machen. Und sollte er es doch versuchen, bekommt er selbst Sanktionen. Zum Beispiel werden wir das Gas abdrehen." Auch der Vizechef des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Alexei Ostrowski, begrüßte den Schritt als einen weiteren Machtzuwachs Russlands. Die Entscheidung des Kreml hätte allen Staaten vor Augen geführt, dass sie Russland achten müssten, meinte Ostrowski.
Moskau spielt mit den Muskeln und präsentiert einen trainierten Oberkörper. Darunter sind jedoch die dünnen Beinchen eines maroden Staates, der sich besser nicht auf Abenteuer einlassen sollte. Premier Wladimir Putin sah im Zusammenbruch der UdSSR die "größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Mit Südossetien hat er einen winzigen Teil heim ins Imperium geholt.
Das amerikanische Kriegsschiff "McFaul" verließ gestern nach der Löschung von humanitären Hilfsgütern den georgischen Hafen Batumi und nahm Kurs auf die Hafenstadt Poti. In Missachtung des Waffenstillstandsplanes zwischen EU und Russland haben russische Truppen Poti nicht geräumt. Jetzt wies der russische Generalstab darauf hin, dass sich an Bord der "McFaul" 50 taktische Tomahawk-Raketen befänden. Zugleich kündigte Moskau an, die Zusammenarbeit mit der Nato wegen des Streits mindestens ein halbes Jahr aussetzen. "Die Nato missachtet fortlaufend die Friedensrolle, die Russland in Südossetien besitzt", hieß es.
In Estland schlug Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag eine fast panische Angst vor Russland entgegen. Der kleinste der drei baltischen Staaten glaubt, ein ähnliches Problem wie Georgien zu haben. Denn Moskau wirft Tallinn immer wieder vor, die russische Minderheit zu diskriminieren. Kurz vor Merkels Besuch warf Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves der Nato vor, keinen ausgearbeiteten Verteidigungsplan für das Baltikum zu haben.
Merkels Ziel bei ihren Besuchen in Estland und Litauen aber war, einerseits den osteuropäischen Staaten entgegenzukommen, andererseits aber den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Die Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Russland sei völkerrechtswidrig und "absolut nicht akzeptabel", sagte sie in der estnischen Hauptstadt Tallinn. "Dieses widerspricht nach meiner Auffassung dem Prinzip der territorialen Integrität."
Ähnlich wie Merkel äußerten sich gestern auch Vertreter zahlreicher andere EU-Staaten. Allerdings unterschieden sich die Statements im Ton. So bezeichnete Frankreich die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Moskau lediglich als "bedauerlich". Frankreich sei der "territorialen Integrität Georgiens" in seinen international anerkannten Grenzen verbunden.
Die Angst vor Russland könnte zu einer Spaltung in der EU führen. Die östlichen Mitgliedstaaten von EU und Nato halten die Vermittlungsbemühungen des Westens im Georgienkrieg für zu lasch. So forderte der estnische Präsident Ilves vor allem "Härte" gegenüber Russland. Einen weiteren "Dialog" mit Moskau hält er derzeit für unmöglich. Vielmehr sollten jedwede Gespräche eingestellt werden, solange der ausgehandelte Friedensplan nicht voll umgesetzt sei. Auch die Verhandlungen über den neuen Partnerschaftsvertrag zwischen der EU und Russland sollten eingefroren werden.
Nicht viel anders äußerte sich Ministerpräsident Andrus Ansip, der Merkel gegenüber die geplante Ostsee-Gas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland kritisierte. Die drei baltischen Staaten sowie Schweden und Polen, vor deren Küsten die Pipeline verlaufen soll, fordern schon seit längerem eine Stornierung des Projekts. Sie fürchten, dass Moskau seine Macht als Gasmonopolist ausnutzen und ihnen aus politischen Gründen den Gashahn zudrehen könnte. Die osteuropäischen Staaten werfen der EU vor, ihre Expertise zu wenig zu berücksichtigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?