: Ab jetzt denkt die PDS nur noch an sich
Die Genossen reden nicht mehr vom Regieren. Sie haben nur noch ein Ziel: 1998 mit fünf Prozent in den Bundestag. Hinter der neuen Bescheidenheit steckt die Angst vor einem Lagerwahlkampf ■ Von Jens König
Berlin (taz) – Gregor Gysi gibt, wie so oft, den neuen Ton vor. „Die PDS“, sagt ihr heimlicher Vorsitzender, „ist viel zu weich.“ Das soll sich jetzt ändern.
Die PDS will nicht mehr lieb sein. Die kleine Ostpartei will der großen SPD und den Grünen nicht länger um den Bart gehen und nur deren Mehrheitsbeschafferin spielen. Die PDS will nicht mehr sagen, daß die Ablösung der Kohl-Regierung 1998 an ihr nicht scheitern werde. Sie will jetzt nur noch an sich denken. „Für die Bundestagswahl im nächsten Jahr haben wir nur ein einziges Ziel“, erklärt der Wahlkampfmanager der Partei, André Brie, „und das ist der Einzug der PDS in den Bundestag mit deutlich mehr als fünf Prozent der Stimmen.“
Bis vor einem halben Jahr konnte die PDS-Führung dem staunenden Publikum nicht oft genug erzählen, daß die Partei endlich bei den Großen mitspielen und Regierungsverantwortung übernehmen will – und jetzt das. Fünf Prozent. Das ist alles. Kohl? Schröder? Lafontaine? Fischer? Nein danke. Ausgefeilte Koalitionsdebatten? Bloß nicht. „Ich verrate Ihnen mal mein Traumergebnis für nächstes Jahr“, sagt Gysi. „SPD und Grüne stellen die Regierung, FDP fliegt raus, CDU bildet die rechte Opposition und wir die linke.“ Neue Bescheidenheit oder neues Selbstbewußtsein bei den Genossen?
Es ist Vorsicht, um nicht zu sagen Angst. Die PDS-Führung selbst würde das wohl eher mit realistischer Analyse umschreiben. „Unser größtes Problem im Wahlkampf wäre eine Zuspitzung auf die Kanzlerfrage“, gibt Dietmar Bartsch, der Bundesgeschäftsführer der Partei, unumwunden zu. „Die Folge wäre ein Lagerwahlkampf, und für den sind wir eine Nummer zu klein.“ Bartsch weiß, daß er mit dieser Position nicht gerade die Stimmung in der Partei wiedergibt. „Die meisten lassen sich von den guten Umfrageergebnissen täuschen und denken, daß unser Einzug in den Bundestag nur noch reine Formsache ist“, warnt er.
Aber der hagere Zweimetermann steht dafür, daß die Selbstsicherheit in der PDS nicht zu groß wird: Dietmar Bartsch gehört seit seit seiner Wahl zum Bundesgeschäftsführer Anfang des Jahres zum einflußreichen PDS-Führungszirkel um Gregor Gysi, Parteichef Lothar Bisky und Wahlkampfchef André Brie und gilt schon jetzt als Kronprinz des Parteivorsitzenden. Der 38jährige, ein studierter Ökonom, der zu Zeiten von Gorbatschow in der Sowjetunion promoviert hat, ist ein beinharter Pragmatiker, der seiner Partei vor allem eines beibringt: Effektivität.
Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Parteivorsitzender, ist einer der wenigen, die Bartschs Einschätzung über die Gefahr des Lagerwahlkampfes teilen. „Von rechts wird es heißen: Freiheit oder Sozialismus“, so Gehrcke, „und SPD und Grüne werden nicht müde zu wiederholen, daß jede Stimme für die PDS eine Stimme gegen Rot-Grün und damit für die jetzige Regierung ist.“ Das Argument, wer PDS wähle, wähle Kohl, das insbesondere von Jürgen Trittin (Grüne) und Wolfgang Thierse (SPD) immer wieder vorgebracht wird, hält Bartsch, im Gegensatz zu Gehrcke, dennoch für wenig kreativ. Es laufe darauf hinaus, meint Bartsch, daß die PDS bei der Bundestagswahl gar nicht erst antreten sollte. „Rau hat 1983 gesagt: Wer grün wählt, wählt Kohl“, erinnert er an den Kanzlerwahlkampf des Sozialdemokraten, „und was damals falsch war, kann heute nicht richtig sein.“
Der Westler Gehrcke dagegen versteht die Grünen und die Sozialdemokraten. Wo sonst die PDS „Ausgrenzung“ schreit, bezeichnet der Parteivize deren Argumente als „nicht richtig, aber gut“. „Die SPD würde bei einer Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene auseinanderfliegen, und Bündnis 90/Die Grünen muß auf seinen Bürgerrechtsflügel Rücksicht nehmen. Mal ganz davon abgesehen“, so Gehrcke nüchtern, „daß für eine Mehrheit der Westdeutschen eine von der PDS tolerierte rot-grüne Regierung schlichtweg eine Katastrophe darstellt.“ Gehrcke ist sich sicher, daß diese rot-grüne Argumentation bei nicht wenigen Wählern, die eigentlich für die PDS votieren würden, verfängt.
Wie also sind die Wähler davon zu überzeugen, trotzdem für die PDS zu stimmen? „Wir müssen über uns reden“, gibt Dietmar Bartsch die Linie vor, „über unsere politischen Alternativen. Erst kommt die PDS und dann der Rest.“ Sprich die politischen Mehrheiten für einen Regierungswechsel. Im Entwurf der Wahlstrategie 1998/99, den die Parteispitze vor zwei Wochen veröffentlicht hat, sind die einzelnen Argumente für die Mitglieder ins Parteichinesisch übersetzt. Dort steht, daß es der PDS um einen Regierungswechsel allein nicht geht. Der sei nur „die Voraussetzung dafür, daß der dringend notwendige Politikwechsel möglich wird“. Und der sei ohne die PDS, die „einzig konsequente Opposition zur Regierungspolitik“, nicht möglich. Schließlich sei die PDS „die Partei der sozialen Gerechtigkeit“, die als einzige „soziale Kompetenz“ mit „ostdeutscher Kompetenz“ verbinde.
Nachdem die schwere Kost im Neuen Deutschland veröffentlicht worden ist, schlägt wieder die Stunde des Rhetorikers Gregor Gysi. Der will seine überalterte Partei mit populistischen Sprüchen aus dem Sessel auf die Straße treiben, mitten hinein in den Wahlkampf. „Kohl abgelöst, rot-grüne Regierung, aber die PDS nicht im Bundestag – das bringt nicht viel. Irgend jemand muß doch SPD und Grüne daran erinnern, was sie beschlossen haben.“
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