Aachens Fußballtrainer über Erfolgsrezepte: "Wir wollen eklig sein - immer"
Peter Hyballa ist der jüngste Profitrainer. Vor dem DFB-Pokalspiel seiner Alemannia aus Aachen gegen Eintracht Frankfurt spricht er über Mut, eine neue Trainergeneration und griechische Jungs.
taz: Herr Hyballa, ein paar Ihrer Eigenschaften: sehr selbstbewusst, gern mal laut und provokativ, extrovertiert, immer unter Strom, die eigene Mannschaft stark lobhudelnd. Was vergessen? Einwände?
Peter Hyballa: Ein Hauch stimmt wahrscheinlich von allem. In der Kabine bin ich auch ruhig, sachlich, konservativ manchmal, im Einzelgespräch auch väterlich, einfühlsam. Und verlieren kann ich seit meiner Kindheit nicht, da sind schon die Mensch-ärgere-dich-nicht-Figuren gegen die Wohnzimmerwand geknallt.
Im Rhein-Main-Gebiet war nach dem Pokalsieg über Mainz der Eindruck da: "Hyballa? Große Klappe."
Ich war doch ganz cool nach dem Spiel, versammelt, ruhig, ohne Show. Auch gegenüber Thomas Tuchel, mit dem ich früher einmal etwas aneinandergeraten bin, weil es auf dem Platz zur Sache ging. Aber Fußball ist kein Mädchenmikado. Und Thomas Tuchel ist nicht mein Feind, wie manche meinen. Völliger Quatsch. Ich musste mich für den nächsten Trainerschritt immer gegen die Türen werfen. Viele Exprofis bekommen gleich nach Karriereende die Tür aufgehalten: Hier haste nen Trainer- oder Managerjob, bitteschön. Wenn ich leiser wäre, wäre ich wohl nicht mit 34 jüngster Profitrainer in Deutschland geworden.
"Nach dem vielen Schulterklopfen laufe ich schon rum wie Quasimodo" - Zitat Hyballa.
Viele schätzen zu Recht, dass wir guten Fußball spielen. Und der Quasimodo war sogar kritisch gemeint: Ich möchte gern weniger Lob, dafür mal mehr Punkte. Mich hat nie interessiert, was Leute über mich denken. Wenn ich in der Coaching Box abgehe, dann gucke ich nicht, wer wie zuguckt. Ich habe die jüngste Mannschaft der Liga, da muss ich vorangehen. Mit leisen Tönen würden wir wohl auch leisen Fußball spielen. Extremen Fußball, offensiv und laut, kannst du nur spielen, wenn du einen extremen Vorredner hast. Wenn ich sage, oh, in Berlin gegen Hertha oder jetzt gegen Frankfurt, wir versuchen mal was … - nein: Wir wollen eklig sein und bissig, immer. Ich will Mut machen und das auch darstellen.
Der 35-Jährige ist seit Saisonbeginn Trainer des Zweitligisten Alemannia Aachen. Davor trainierte er die U19-Junioren von Borussia Dortmund, mit denen er 2009 deutscher Vizemeister wurde.
Neulich nannten Sie sich "Alemannias neuen Jugendtrainer", weil Sie vorher 16 Jahre nur mit Nachwuchs gearbeitet haben. Ist das Koketterie?
Die ersten Wochen musste ich mir ständig Fragen anhören, ob ich mir das zutraue bei den Profis. Dabei haben die Allerwenigsten eine Ahnung vom Jugendfußball in Deutschland. A-Jugend-Fußball und Profibereich sind nicht 35.000 Kilometer auseinander. Wo kommen denn die vielen Talente der letzten Jahre her? Weil gute Jugendtrainer mit den Talenten seit Jahren jede Woche im Dreck stehen! Im Profi-Jugendfußball.
Der Trend im deutschen Fußball geht zu jungen Trainern. Wie kommt es zu diesem Umdenken?
Der Trend geht zu Fußballlehrern. Die Generation Tuchel, Klopp, auch noch Rangnick, Frank Schaefer, Marco Kurz - da wird viel mehr über Detailfußball gesprochen, über taktische Sachen: der Sechser im freien Raum, wie der Zehner sich aufdreht, Kettenverschiebung, wann wo wie Pressing gespielt wird. Die Spielergeneration aus den Jugendleistungszentren kennt das auch sehr genau. Und nicht mehr Sprüche von elf Freunden und Gras fressen, Zweikämpfe annehmen …
Ist das die Old School?
Es gibt auch gute ältere Trainer. Die machen das auf ihre Art. Und wichtig: Die haben einen guten, modernen Trainerstab dabei. Ich wäre nie so arrogant, über Jupp Heynckes oder Louis van Gaal zu sprechen. Spanien wurde Weltmeister mit dem fast 60-jährigen Vicente del Bosque. Diese Leute haben Riesenqualitäten.
Sie sind mit 35 der jüngste von allen. Sie trainieren in Teilen komplett anders als die Haudegen und Retter.
Wir haben die Idee, beim Training möglichst viel das Spiel zu kopieren. Das kannst du nicht mit Gymnastik, mit Waldläufen (die wir ganz abgeschafft haben), mit Hütchen-Läufen oder besonders viel Krafttraining. Wir machen fast alles in Spielform. Der Ball ist manchmal wirklich der größte Feind eines Spielers.
Ihr Co-Trainer Eric van der Luer hat gesagt: "Wir bekommen Fußballer und wollen Menschen entwickeln."
Es gibt kaum Trainer, die so viel so locker mit den Jungs reden wie wir beide - auch über andere Dinge als Fußball. Wir sehen hin, wie es jemandem geht. Wir kümmern uns, können mal böse sein, mal in den Arm nehmen. Ich will gute, selbstbewusste Jungs haben und keine Ja-Sager. Die Spieler sind das höchste Gut eines Vereins. Das müssen sie merken. Dann darfst du auch mal eine Tür eintreten und extrovertiert sein. Die Spieler merken, die Trainer setzen die letzte Energie daran, alles aus mir und der Mannschaft herauszukitzeln.
Was ist im Profifußball anders als erwartet?
Wenig. Der Geruch der Kabinen ist gleich, Spielformen und Coaching auch. Den Journalisten klare Aussagen zu geben mit guter Grammatik und Syntax, damit komme ich auch klar. Anfangs war ich erschrocken, wie viel und wie lange man im taktischen Bereich noch arbeiten musste und dass ich den Spielern so viel Mut machen musste, offensiver zu spielen, die Handbremse zu lösen, dominant zu sein.
Wie wichtig ist der Pokal?
Sehr wichtig. Sportlich wichtig. Das ist ein Eine-Million-Spiel. Und fürs Prestige.
Frankfurt ist individuell stark, aber niederzulaufen und auseinanderzukombinieren?
Klasse Mannschaft, absolut dynamisch, mit vielen richtigen Kerlen, immer offensiv nach vorne. Da mag ich Amanatidis und Gekas, die griechischen Jungs vorne; die sind robust und gefährlich. Auch Schwegler und Ochs sind richtig gut.
Erstellen Sie nach der Videoanalyse einen Mikromatchplan mit jeder Schwäche eines jeden Frankfurters für jede denkbare Spielsituation?
MMP, Mikromatchplan - kann ich mir merken. Auf Matchplan hat ja schon Kollege Tuchel das Patent. Nein, im Volleyball kannst du so was machen, mit Angriffsvariante 1, 2, 3 und Variationen a, b, c. Nun spielen wir den Kontaktsport Fußball. Wir reden gar nicht so viel über den Gegner, sondern wollen unser aggressives, offensives Spiel spielen.
Bei einem Sieg werden Sie das christliche Brauchtum erweitern?
Dann stellen wir die 5. Adventskerze auf und Sportdirektor Erik Meijer, Eric van der Luer und ich ziehen als Heilige Drei Könige durch Aachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter