AUSBILDUNGSPAKT ENTPUPPT SICH FRÜHZEITIG ALS ABSURDE INSZENIERUNG : Am Kern der Misere vorbei
Mag schon sein, dass sich noch nicht sagen lässt, wie viele Ausbildungsplätze zu Beginn des Lehrjahrs im September wirklich zur Verfügung stehen werden. Das Schöne gerade an Arbeitsmarktfragen ist schließlich, dass Behörden wie Arbeitgeber sich jeden Tag eine neue Zahl zum Beleg ihrer jeweiligen Lieblingsthese oder auch deren Gegenteil aus dem Ärmel ziehen können.
Und wenn man noch nicht einmal eine aktuelle Studie vorzuweisen hat, nutzt man halt das Sommerloch, um seine Befürchtungen mit Vermutungen zu belegen – wie nun der Chef des Bundesinstituts für Berufsbildung, Helmut Pütz. Die gute Absicht zählt, denkt er, und vereinnahmt ein bisschen öffentliches Wohlwollen für sich: Wir wollen doch alle, dass die jungen Leute eine Ausbildung bekommen.
Bloß – das sagen alle. Auch die Arbeitgeber. Zu der Meinung: Mich interessiert die Ausbildung Jugendlicher überhaupt nicht, hat sich im öffentlichen Raum noch niemand bekannt. Für die Betroffenen ist das leider kein Vorteil. Die ganze Debatte um die Ausbildungsmisere krankt vielmehr daran, dass sämtliche beteiligten Parteien auf dem Ticket der allseitigen Zustimmung fahren. Dadurch erst entsteht der politische Resonanzraum für solche absurden Inszenierungen wie den Abschluss des „Ausbildungspakts“ Mitte Juni. Mit großem Pomp reichten sich Regierungspolitiker und Arbeitgeber die Hand, um mit vollmundigen Beteuerungen zu verdecken, was lange vorher besiegelt war: Rot-Grün bekommt kein Gesetz auf die Beine, das allein irgendeine Verpflichtung schaffen könnte. Die Arbeitgeber sagen zu, nicht nur Ausbildungsplätze zu vernichten – was sie seit Jahren tun –, sondern einen Teil des Verlusts auch zu kompensieren – was sie ebenfalls seit Jahren tun.
Vermutlich wird Pütz und werden mit ihm die Skeptiker in den Gewerkschaften also Recht behalten damit, dass sich an der Ausbildungsmisere im kommenden September im Vergleich zu den Vorjahren nicht viel ändern wird. Dagegen werden die Ausbildungspaktierer natürlich irgendwelche Erfolgsmeldungen halten. Doch solange sich die Ausbildungspolitik darauf beschränkt, strategische Geräusche wahlweise zur Unterstützung oder zur Mahnung der Arbeitgeber zu machen, mogelt sie sich um den harten Interessengegensatz im Kern der Misere herum: Ausbildung ist teuer, und die Wirtschaft will dafür nicht mehr zahlen – soll der Staat die jungen Leute doch bitte fertig bilden. Nein, mit den Interessen der Jugendlichen hat das alles nichts zu tun. Aber um die geht es ja ohnehin nicht. ULRIKE WINKELMANN