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Archiv-Artikel

AUF DER SUCHE NACH LEERSTELLEN, IN DENEN FREIHEIT IST. WAS HILFT GEGEN DIE ZUMUTUNGEN DER WELT? TROLLEREI, LIEBE, DROGEN Leben in Flausch und Rausch

JULIA SEELIGER

Alles ist voll mit Flausch. Pappelflaum überall. Der Berliner Sommerschnee fällt und steigt in den Himmel. Wie der Wind weht, geht der Flausch.

Wieder war ich im Märchenland zwischen Hamburg und Berlin unterwegs. Pause machen, wo der Kuckuck ruft. Die Leerstellen suchen, in denen Freiheit ist. Das Außen vom Innen. Dem verwalteten Leben entkommen und glücklich sein.

Was hilft? Trollerei, Liebe, Drogen. So einfach ist das. Trollerei ist Handeln, Liebe ist eine Insel, Drogen sind Psychopharmaka.

Das flauschige Ecstasy. Weiß, wolkig, verflüssigend. Eine äußerst gesunde Droge. Noch gesünder ist nur LSD, aber das sagt man lieber nicht, sonst wird man als verrückt hingestellt. Ist ja auch verständlich, dass es Leuten Angst macht, wenn da welche in einer Welt aus goldenem Honig herumlaufen und die anderen aus der Distanz betrachten. Mit einem Freund habe ich mal ausgerechnet, dass man für Berlin sechs bis zehn Kilo LSD bräuchte, einfach in die Trinkwasserstationen. Aber solche zentralistische Umerziehungspolitik ist gesellschaftlich nun mal nicht anerkannt. Andere zentralistische Umerziehungspolitik schon und auch Psychopharmaka, die keinen Spaß machen, Hartz IV auch, aber seien wir mal nicht so – die Welt ist eben ungerecht, und überhaupt ist es ja besser, wenn nur drogenkompetente Menschen Drogen nehmen.

Genauso wie es schön wäre, wenn nur sexkompetente Menschen Sex hätten. Anstatt dass die Sexinkompetenten den Sexkompetenten Regeln aufdrücken. Gestern Abend beim Curry erklärte mir einer, dass die von mädchenfeministischen Blogs vorangetriebene „Consent Culture“ mit dem Motto „Nur Ja heißt Ja“ Sex-Lernenden helfe, Sicherheit zu gewinnen. Nun, warum nicht – aber warum muss so ein Verfahren gesellschaftlicher Standard werden? Ich zumindest habe keine Lust auf starre Verhaltensregeln bei der Liebe und ich halte so was auch für kontraproduktiv. „Nur Ja heißt Ja“ ist Sex für Gefühlsgestörte, außerdem hat die große Masse ja noch nicht mal „Nein heißt Nein“ begriffen.

Auch dafür habe ich weiland den Trollfeminismus erfunden, im Juli, wenn diese Kolumne schon nicht mehr ist, schließe ich das Thema ab. Bei der Hackerkonferenz SigInt in Köln werde ich meine Erfahrungen mit feministischen Debatten im Netz, Vergewaltigungsdebatten in der linken Szene, Aufschrei mit dem Event „Trollfeminismus 3“ abschließen, und danach können mich alle am Arsch.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei Freitag David Denk Fernsehen Montag Martin Reichert Back on the Scene Dienstag Deniz Yücel Besser

All is full of Flausch. Die Sonne scheint, ich habe meinen Besitz wieder bei mir und es gibt nichts mehr zu gewinnen. Den Kapitalismus habe ich kritisiert, die ideologisierten Feminist_innen und die Esoteriker – und ich sehe, es ist gut. Ich habe keine Arbeit, aber was soll’s, die wird schon wieder kommen. Ansonsten muss ich eben den Sozialstaat aussaugen, eine Supererfindung machen oder einen Bestseller schreiben. Es wird sich schon alles ordnen, denn es hat sich schon viel geordnet.

So geht die Zeit. Diese Kolumne geht zu Ende. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Freedom’s just another word for nothing left to win.