AUF DEM WTO-GIPFEL HABEN SICH DIE MÄCHTIGEN STAATEN DURCHGESETZT : Teile und herrsche
Ein Erfolg musste her, egal wie substanziell er war – denn ohne ein Abkommen wäre die derzeitige Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation WTO de facto gescheitert. Doch was die Mitgliedsstaaten nun durchwinkten, ist so schwammig, dass der Termin für eine Einigung der Doha-Welthandelsrunde um mindestens ein halbes Jahr nach hinten auf Juli 2005 verlegt werden musste.
Die Entwicklungsländer haben also nun ein Jahr Zeit, den jetzt beschlossenen Verhandlungsrahmen zu ihren Gunsten zu füllen. Gut stehen ihre Chancen nicht, wie das Zustandekommen der jetzigen Einigung zeigt. Zwar ist die WTO eine auf den ersten Blick demokratische Organisation: Jedes Land hat eine Stimme. Doch in der Praxis heißt das wenig. Die ärmsten Länder sind schlicht erpressbar, etwa wenn ihnen mit dem Entzug von Nahrungsmittelhilfe gedroht wird. Die USA haben einigen Entwicklungsländern die Einfuhr von ein paar Tonnen Zucker mehr erlaubt, andere wurden mit zusätzlicher Entwicklungshilfe geködert. Keines der betroffenen Länder kann es sich leisten, Nein zu sagen. Auf diese Weise ließen sich die Entwicklungsländer in der Frage einer radikalen Marktöffnung für Industriegüter und Dienstleistungen den Schneid billig abkaufen. Im Gegenzug bekamen sie von den Industrieländern vor allem nicht bindende Zusagen ohne konkrete Fristen – und damit kaum eine Veränderung gegenüber dem Status quo.
Letztendlich haben den Deal nur fünf WTO-Mitglieder unter sich ausgemacht, die sich selbst zynischerweise als „fünf interessierte Parteien“ bezeichnen. Fünf mächtige Parteien wäre ein zutreffenderer Name, denn auch die beiden Entwicklungsländer unter ihnen, Brasilien und Indien, können als große Agrar- und Industrienationen nur bedingt als Vertreter der armen Länder des Südens gelten.
Die Macht, ihre Interessen durchzusetzen, hätten die Länder des Südens nur dann, wenn sie sich nicht mehr auseinander dividieren lassen würden. Doch eine solche Prinzipienstärke muss man sich erst einmal leisten können. NICOLA LIEBERT