AUF DEM FENSTERBRETT : Deutsche Ayshe
Sie war ein Geschenk. Und sie war das deutscheste Geschenk aller Zeiten. Der Setzling war aber noch so klein, dass er kaum als Eiche zu erkennen war. Die schenkende Freundin arbeitet als Grundschullehrerin, sie hatte die Bäume mit den Kindern gepflanzt, irgendwie waren ein paar Töpfe übrig geblieben. Also beglückte sie sämtliche Bekannte mit kleinen deutschen Eichen. Damit wir uns verwurzeln oder so.
Damals hatte der Baum gerade mal drei Blätter und maß senkrecht höchstens acht Zentimeter. Trotzdem: Es ist merkwürdig, wie viel große Symbolik in einer so kleinen Pflanze steckt. Dieses Germanische. Standhaftigkeit, Duldsamkeit, Verschwiegenheit und so, Mozart lässt grüßen. Laut Wikipedia kommt der Name „Eiche“ aus dem lateinischen esca, Speise. Weil das Schwein die Eicheln verspeist. Also auch in dieser Hinsicht ziemlich deutsch, es gibt kein deutscheres Tier als das Schwein.
Die Eiche steht jetzt auf dem Fensterbrett in der Küche. Neben dem Basilikum sieht sie etwas karg aus. Trotzdem fällt sie dem Besuch auf. Ganz automatisch bitte ich um Entschuldigung für die Symbolik, erkläre, dass es ein Geschenk ist von einer Freundin etc. Dabei hatte mein Besuch meine Assoziationen gar nicht gehabt. Er ist Syrer. Er hatte sich nur für die Pflanze an sich interessiert. Er kocht gerne und hatte sich gefreut, neue Kräuter kennen zu lernen. Als er die für ihn völlig unerwarteten Informationen samt Rumgedruckse und Identitätsgefasel erhält, guckt er nur verständnislos und fragt: „Deutsche Ayshe?“
Auf Arabisch bedeutet Aysha Leben, die Lieblingsfrau des Propheten hieß so. So wurde die Eiche nicht nur getauft, sondern auch eingebürgert beziehungsweise neuköllnisiert. Jetzt symbolisiert sie nur noch ihre eigene völlig unmetaphorische Verwurzelung in ihrem Topf und diesem Kiez. Ahlan wa sahlan, deutsche Ayshe. CATARINA VON WEDEMEYER