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Archiv-Artikel

AUCH OHNE SPRACHKENNTNISSE KANN MAN SICH AN FRANKREICHS STRÄNDEN HEIMISCH FÜHLEN Europa trägt Capri

AMBROS WAIBEL

Nach vier Sommerurlauben in den Bergen war es Zeit, mal wieder das Meer zu sehen – also nicht die reichlich tote Ostsee oder das in den Sommermonaten nur noch auf Anmeldung zugängliche Mittelmeer, sondern ein richtiges, lebendiges „La Mer“, wie es Charles Trenet besingt. Beschwingt fuhren wir los gen Westen, um uns plötzlich auf einer beleuchteten Autobahn wiederzufinden. Wo waren wir denn jetzt gelandet? Das Smartphone half uns dabei, unsere verschlafenen Erdkundestunde wieder wettzumachen. Belgien also, das war es. Und warum eigentlich auch nicht?

Der Name war uns bisher nur bekannt gewesen durch Wiglaf Drostes Text (und Buch) „Bombardiert Belgien!“ Das sprach schon mal für das Land. „Als ob Hitler Belgier gewesen wäre – überall Autobahnen“, heißt es bei Droste; und eigentlich geht es gar nicht um Belgien, sondern um die Nato, die damals gerade Belgrad bombardiert hatte und nun von Droste aufgefordert wurde, doch ähnlich konkret und menschenrechtsaffin gegen die belgischen Kinderschänder vorzugehen, Dutroux und so. Stimmt, dachten wir: Da war was!

Der schönste Kommentar bei Youtube zu Drostes Lesung mit Musik über die andauernd Fritten mampfenden Belgier lautet dann auch: „Ich als Belgier mag Kinder, nur ein Ganzes schaff ich nicht.“ Belgische Fritten sind aber auch wirklich gut, besonders die in Antwerpen bei Max am zentralen Groenplaats. Auch auf Gents Plätzen sitzt, isst und trinkt man hervorragend, ein wenig fühlt man sich wie in einem Technicolor-Ritterfilm mit Robert Taylor – so unwirklich mittelalterlich ist das alles hier.

Aber das Meer war das eben noch nicht, und obwohl wir inzwischen ganz gut (jedenfalls erfolgreich) auf Niederländisch Bier bestellen konnten, trieb es uns weiter.

In Frankreich war alles wie immer, also wie vor 20 Jahren, als ich zum letzten Mal da gewesen war. Für die Franzosen teilt sich die Welt in Menschen, wie etwa meine bezaubernde Begleitung – die sprechen französisch; und in andere, niedere Wesen, die diese schöne Sprache nicht beherrschen – die sind im besten Fall zu ignorieren.

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Nun hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, sich im Land der Gleichen gleich zu fühlen: Doch Erwerb wie Besitz einer kack-, khaki- oder militärfarbenen Caprihose in Kombination mit Gesundheitstreckingsandalen plus lustig bedrucktes T-Shirt war und ist mir unmöglich. Und so blieb mir mal wieder nur der leidige Beobachterposten, von dem aus ich immerhin feststellen konnte, dass Europa, was die männliche Urlaubsmode angeht, sich viel homogener präsentiert, als es die auf die einzelnen Länder der Gemeinschaft sich so unterschiedlich auswirkende Eurokrise vermuten lassen mag.

Für den echten, grimmigen Snobismus war ich aber letztlich zu versöhnt mit allem – mit den Austern in Cancale, mit dem Blick auf den Mont Saint-Michel, mit den Dünen bei Rothéneuf. Dass Trenet in Wirklichkeit das Meer zwischen Narbonne und Perpignan besungen hat, war spätestens hier nur noch eine Fußnote für Beckmesser.