AUCH DIE GRÜNEN WOLLEN DIE KRONZEUGENREGELUNG WIEDER EINFÜHREN: Lügen wird belohnt
„Ein guter Tag für den Rechtsstaat“, sagten die Grünen, als Ende 1999 die Kronzeugenregelung abgeschafft wurde. Jetzt soll sie aber mit stark erweiterter Anwendungsmöglichkeit wieder eingeführt werden. Nicht nur Terroristen und Mafiosi, sondern alle halbwegs „schweren Jungs“ (vom Mörder bis zum Betrüger) können künftig Strafrabatt bekommen, wenn sie ihre Kumpanen verpfeifen. So plant es jedenfalls die SPD, und die Grünen wehren sich nur halbherzig. Ein rot-grüner Zickzackkurs? Ein Possenstück? Nein, die Entwicklung war durchaus abzusehen, deshalb sind die Grünen selbst schuld, wenn sie nun dem Ansinnen der SPD relativ ratlos gegenüberstehen.
Denn schon 1999 war klar, dass die Kronzeugenregelung nicht einfach ersatzlos abgeschafft wird. Die Rechtspolitiker von SPD und Grünen hatten vielmehr eine Prüfung vereinbart, ob nicht eine neue allgemeine Regelung ins Strafgesetzbuch übernommen wird. An dieses Versprechen erinnert jetzt die SPD. Und die Grünen können sich diesem Projekt nur verweigern, wenn sie gute Argumente haben. Aber haben sie die?
So war der Hauptgrund dafür, die (zeitlich befristete) Kronzeugenregelung 1999 auslaufen zu lassen, da sie ohnehin kaum angewandt wurde. Nur 25-mal gab es Strafrabatte im Bereich Terrorismus. Bei der organisierten Kriminalität sind sogar nur drei Fälle aktenmäßig belegt. Da konnte auch die SPD gut mit den Grünen stimmen und ihnen den kleinen rechtspolitischen Erfolg gönnen.
Um diesen symbolischen Erfolg gebührend auskosten zu können, haben die Grünen 1999 allerdings bewusst nicht nach links und rechts geschaut. Denn sonst hätten sie thematisiert, dass es in Deutschland noch eine zweite und ungleich wichtigere Kronzeugenregelung im Bereich des Drogenstrafrechts gibt. Diese wurde und wird seit 1982 tausendfach angewandt. Zahllose Verurteilungen stützen sich auf die Aussagen ehemaliger Drogendealer. Außerdem werden auch im kriminalpolitischen Massengeschäft viele Angeklagte, die ihre alten Mittäter verraten, dafür bei der Strafzumessung vom Gericht belohnt – bisher noch ohne ausdrückliche Regelung. Doch auch in all diesen Fällen gilt das grüne Argument: Kronzeugen sind gefährliche Zeugen, denn sie haben einen Anreiz, falsche Aussagen zu liefern. Je mehr sie andere belasten, desto höher ist ihr Strafrabatt.
„Vor Gericht wird nirgends so gelogen wie in Betäubungsmittelverfahren“, sagt deshalb der renommierte Strafverteidiger Eberhard Kempf. Nur: Hier haben die Grünen nicht einmal den Versuch zu einer Änderung gemacht und schweigen auch heute.
Angesichts dieser Inkonsequenz hat es die kleine Regierungspartei jetzt schwer, ihre Ablehnung einer neuen allgemeinen Kronzeugenregelung zu begründen. Entsprechend wirr ist auch ihr gestern beschlossenes Positionspapier. Man will den Richtern ermöglichen, das „Verhalten nach der Tat“ noch stärker als bisher zu berücksichtigen. Gleichzeitig will man aber alle Regelungen verhindern, die die Gefahr falscher Beschuldigungen mit sich bringen. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch unlauter. Schließlich bietet jede Anerkennung von Kooperation mit der Polizei und der Justiz auch einen Anreiz dafür, ehemalige Mittäter (zu Recht oder zu Unrecht) zu belasten.
In den Vordergrund rückt bei den Grünen daher immer mehr der Hinweis auf die „Schuld“ des Kronzeugen. Ein Mörder dürfe nicht mit einer milden Strafe davonkommen, nur weil er später mit der Polizei zusammenarbeitet. Hier wird recht unverhohlen mit dem Strafbedürfnis der Law-and-order-gestimmten Bevölkerung argumentiert. Damit werden die Grünen aber nicht durchkommen, wenn die eigentlichen Law-and-order-Parteien CDU/CSU und SPD die Kronzeugenregelung für nötig halten.
Sinnvoll wäre dagegen eine Regelung, wie sie derzeit in der wissenschaftlichen Diskussion vorgeschlagen wird. Danach dürfte ein Angeklagter nie allein aufgrund der Hinweise eines Kronzeugen verurteilt werden – vielmehr wäre in solchen Fällen stets ein zweiter unabhängiger Beweis erforderlich. So würde jeder Richter an die Gefahren einer Kronzeugenaussage erinnert und die Betroffenen vor frei erfundenen Anschuldigungen einigermaßen geschützt. Und die Grünen könnten sich mal wieder als Rechtsstaatspartei profilieren.
CHRISTIAN RATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen