ARD-Tragikomödie über Mitte 30-Jährige: Eigentlich und unentschlossen
Professionelle Performance und Selbsthinterfragung - ein Film über die Generation der manischen Zauderer: "Mitte 30" (ARD, Mi, 20.15 Uhr)
Sie sind Mitte 30? Sie haben früh eine Selfmadekarriere mit lukrativen Aussichten eingeschlagen, sicherheitshalber aber die Seminarscheine ihres abgebrochenen Studiums in der Schreibtischschublade verstaut? Und Sie wollen nun, da ihr Leben finanziell und auch sonst nicht recht erfüllend verlaufen ist, doch noch die Uni abschließen? Tun Sie nichts Unüberlegtes, schauen Sie sich erst diesen Film an. Oder besser: Schauen Sie sich diesen Film an und tun Sie dann bitte unverzüglich etwas Unüberlegtes.
Denn wohin dieses Gemisch aus stillem Zaudern und manischem Reflektieren führt, zeigt ganz wunderbar die Geschichte des Aus-, Um- und Absteigers Gerrit (Mark Waschke), um den es in "Mitte 30" geht: Acht Jahre hat er mit einem Freund ein Architekturbüro geführt, obwohl die hochfliegenden Pläne seines eitlen Kompagnons ihm ebenso übel aufstießen wie dessen ewiges Fremdgehen.
Doch dann entschließt sich Gerrit, sein abgebrochenes Pädagogikstudium wieder aufzunehmen - leider genau zu dem Zeitpunkt, als sein Geschäftspartner bei einem Badeunfall ums Leben gekommen ist und Witwe Sandra (Silke Bodenbender) erst vermeintliche Schulden, dann seelischen und schließlich körperlichen Beistand einfordert. Und da Gerrit gerade das Gefühl beschlichen hat, sich umorientieren zu müssen, passt der amouröse Kurswechsel irgendwie ganz gut zu seinem Leben - auch wenn es ihn zerknirscht, dass er dabei Freundin Claudia (Anneke Kim Sarnau) wehtut.
In einer der tollsten Szenen in dieser Zauderer-Studie erklärt der Altstudent seiner Ex denn auch, dass er sich wirklich mies fühle bei der ganzen Angelegenheit. Worauf die ihn anschreit, dass "mies" ein Kinderwort sei.
Aggressive Leisetreter wie Gerrit können einem wirklich zusetzen. Nicht etwa, weil sie keine Verantwortung übernehmen wollen, sondern weil sie immerzu glauben, Verantwortung übernehmen zu müssen, die ihnen keiner abverlangt. Sie denken, das gehöre irgendwie zum Erwachsenwerden. Und dann diese Scham, wenn sich zu Recht alle in ihrem Umfeld beschweren, dass sie komplett unreif sind!
In einer anderen tollen Szene muss der Held ein Pädagogikreferat vorbereiten. Gewalt in Trickfilmen ist das Thema, oje. Leider verpasst er bei all dem Trubel, Filmbeispiele für das Seminar vorzubereiten. Den Dozenten verleitet das zu der süffisanten Frage, ob er meine, die nötige Reife für den Lehrerberuf mitzubringen. Gerrit kontert mit einem Verweis auf die Karriere: 100 PowerPoint-Präsentationen habe er durchgeführt, da könne ihm wohl niemand seine Qualifikation absprechen.
Es sind solche Momente, die "Mitte 30" trotz Fokussierung auf eine einzelne Person zur Tragikomödie einer ganzen Generation machen. Regisseur Stefan Krohmer und Autor Daniel Nocke, die zuvor unter anderem das 80er-Gruppenpsychogramm "Sie haben Knut" gedreht haben und selber ziemlich genau Mitte 30 sind, bringen hier ohne modische Accessoires und soziologische Folklore das Zeitgefühl ihrer Altersgenossen auf den Punkt. Also jener frühen Siebziger-Jahrgänge, die mit den neuen Medien und dem neuen Markt extrem schnell einen Status erlangt haben, der nichts wert ist, und die sich zwischen professioneller Performance und obsessiver Selbsthinterfragung aufreiben. Nennen wir sie mal Generation PowerPoint.
Einen genaueren Zustandsbericht über diesen mäßig ausgebildeten und rhetorisch ausgebufften Haufen findet man zurzeit nicht. Feinfühlig und boshaft wird in "Mitte 30" von einer Generation erzählt, die sich noch ziemlich fremd ist. Zu Hause sind sie nirgends so recht, weder in ihren selbst designten Eigenheimen noch in irgendwelchen idealisierten Studenten-WGs.
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