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ARD-Doku übers SterbenGalliger Galgenhumor

Die ARD zeigt mit "Letzte Saison" eine bewegende Doku über das Sterben. Und wirft eine Frage auf: Darf ein Film über dieses Thema überhaupt gemacht werden?

Der 96-jährige Dr. Franz Rilling spielt jeden Tag noch eine Stunde Klavier. Bild: SWR

Der "Dokumentarfilm im Ersten" beginnt mit einem Ärgernis. Die fünfundsechzigjährige Gisela Zeller ist, so ist jedenfalls unter ihrem Bild eingeblendet, wegen einer Thrombose im Krankenhaus. Oberarzt Matthias Rilling diagnostiziert: "Ich muss Ihnen einfach jetzt sagen, was vorliegt. Und es ist nicht einfach für Sie, Sie wollen aber die volle Wahrheit […] wissen. […] Es sieht mit einer großen Sicherheit danach aus – mit einer sehr großen Sicherheit –, dass es Bauchspeicheldrüsenkrebs ist, der in die Leber bereits gestreut hat. […] Es wird Ihr Leben verkürzen."

Natürlich ist das wichtig: Wie überbringt ein Arzt eine Todesbotschaft. Gerade deshalb sollten die Filmleute dem Zuschauer hier nichts vorgaukeln. In einem Film über das Sterben steht der Tod von vornherein fest und kommt nicht aus heiterem Himmel. Zum Fernsehgeschäft gehört auch ein fester Zeitplan.

Die Autorin Sigrid Faltin weiß, dass dies ihrem Film einen zynischen Beigeschmack gibt: "Es ist August, und wir wissen: Im März soll Schnittbeginn sein." Da kommt eine Krebsart, die eine mittlere Lebenserwartung von sechs Monaten bedeutet … Darf ein Film über dieses Thema also gar nicht gemacht werden?

Nein. Und trotz des Vorbehalts, den der Film mit seinem Anfang selbst verschuldet, enthält er viele authentische, echte Situationen. Etwa wenn Gisela Zellers Ehemann davon spricht, aus Freiburg wegziehen zu wollen. "Wenn Ihre Frau gestorben ist?", fragt die Filmemacherin aus dem Off nach. Der Mann ringt lange mit den Worten: "Das dürfen Sie nicht sagen."

Sigrid Faltin erzählt drei bewegende Geschichten. Noch vor Gisela Zeller stirbt der 87-jährige Rupert Gässler. Der auch an Krebs erkrankte Vater von Matthias Rilling wird am Ende des Films seinen 97. Geburtstag feiern. Seinem galligen Galgenhumor verdankt der Film den Titel: "Ich lebe so, dass ich denke: Das is' meine letzte Saison. Na und!"

Dienstag, 12. Juli, ARD, 22.45 Uhr

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10 Kommentare

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  • MP
    Michael Pleitgen

    Dieser kleine "Schwindel" am Anfang darf sein - wie anders könnte man sonst den Übergang von dem "Sterben muss jeder" zu der konkreten Situation im Haus oder der Familie verstehen?

     

    Das Thema wird verdrängt - umso wichtiger ist es, darauf vorbereitet zu sein, sonst wird man unter all den Notwendigkeiten: Arzt, Krankenkasse, Pflegedienst etc diejenigen vergessen, um die es geht: den Sterbenden und die Menschen um ihn herum. Sterben gehört zum Leben - konkretes Erleben hilft, besser damit klar zu kommen. Der Film leistet einen wertvollen Beitrag dazu.

  • S
    Sven

    Das Leben kann manchmal hart und ungerecht sein, mag man denken, wenn man den agilen 97-jährigen Dr. Rilling sieht, der "noch ein paar schöne Momente" genießen kann, aber auch nicht unbedingt für jedes Jahr kämpft, welches er auf der Erde weilen darf. Kurz gesagt, wenn es zu Ende geht, dann ist es halt so, mit 97 Jahren ein Segen.

    Auf der anderen Seite eine lebenslustige, gebildete und sehr agile Gisela, die nicht mal mehr 6 Monate zu leben haben soll, aber noch so viel vorhat in ihrem Leben.

    Das Schicksal von Gisela hat mich sehr berührt und noch Tage nach der Reportage beschäftigt, und zwar in den stillen Momenten des Tages.

    Ich weiß nicht, ob es den erkrankten Menschen helfen würde, wenn das Thema Sterben mehr präsent wäre, es würde aber uns allen öfter zeigen, wie kurz das Leben sein kann. Wie oft beschäftigen wir uns mit Sinnlosem und ärgern uns über Nichtigkeiten.

    Danke Dr. Rilling für die Weisheit: Lebe jede Saison, als wenn es Deine letzte wäre... RIP Gisela

  • M
    MaryAnn

    @sue:

     

    der film steht auf der ard-homepage online. man kann ihn dort zu jeder tages- oder nachtzeit ansehen (mind. eine woche lang).

    (in der ard-mediathek unter der rubrik "reportagen").

  • MP
    Michael Pleitgen

    Dieser kleine "Schwindel" am Anfang darf sein - wie anders könnte man sonst den Übergang von dem "Sterben muss jeder" zu der konkreten Situation im Haus oder der Familie verstehen?

     

    Das Thema wird verdrängt - umso wichtiger ist es, darauf vorbereitet zu sein, sonst wird man unter all den Notwendigkeiten: Arzt, Krankenkasse, Pflegedienst etc diejenigen vergessen, um die es geht: den Sterbenden und die Menschen um ihn herum. Sterben gehört zum Leben - konkretes Erleben hilft, besser damit klar zu kommen. Der Film leistet einen wertvollen Beitrag dazu.

  • A
    Angelika

    Eine gefühlvolle Reportage über Menschen auf ihrem letzten Weg. Da ich vor 2 Monaten meine Mutter "begleitet" habe, berührt mich diese Dokumentation besonders. Auch die Aspekte wie andere Angehörige "damit" umgehen. Ich finde es wichtig, dass auch mal "diese Seite" des Lebens gezeigt wird. Ein Aspekt wäre noch, auch zu zeigen wie die Angehörigen anschließend "weiter leben".

  • S
    Sue

    Schade, verpasst. Gibt's eine Wiederholung?

  • V
    Verena

    Dokumentationen - größtenteils werden wir von schönen illustrativen Bildern im Fernsehen überflutet. Tiere, Kinder, Freizeitaktivitäten, Lebensgestaltung usw. Viel schönes ist dabei. Und dann schwingt die andere Seite noch mit, diejenige die mit Ungerechtigkeit und Unheil einhergeht und nicht selten ein Unwohlsein im Fernsehsessel hervorruft, da eben dieses Unheil soviel Realität ist. Die Doku wirft vor allem bei Gisela diese Frage nach Ungerechtigkeit auf, nach der Frage, ob dieser Weg der bestimmt wurde, von ihr gegangen zu werden, gerecht ist. Ein bitterer Kampf um das Leben wird bestritten, scheint er auch noch so ausweglos, sie glaubt und hofft - und verliert doch. Dieses sind wir normalerweise vom Fernsehen und seinen strahlenden Dokus, beladen mit Freude und Schönem, nicht gewohnt. Selbst ein Film, der manchen Zuschauer auch nachwirkend schockt, ist nicht real und unter diesem Gesichtspunkt ist man dann auch fähig sich davon zu distanzieren. Aber der Tod - das ist real und Gesetz für jeden, nichts fiktives, nichts plan- und vorhersehbares. Es ist das, was uns Angst macht und das was die Doku ebenfalls an Emotion beeindruckend eingefangen hat. Ich bewundere die Offenheit und den Mut der gezeigten Menschen, wie sie ihren letzten Weg bestritten haben bzw. noch gehen.

  • T
    Tina

    Ich kann euch zur zustimmen, ich fand die Dokumentation sehr gut gelungen. Und: es sollte wirklich kein Tabuthema sein, es kann jeden von uns treffen.

     

    Ich war heute noch den Tag über in Gedanken bei dem Film, der war so echt und ergreifend, wie nur das Leben sein kann.

  • S
    Susanne

    Der Doku-Film hat eindrucksvoll gezeigt, worum es bei dem Sterben geht: Um das Bedürfnis des Sterbenden, würdevoll gehen zu können. Ohne Schmerzen. Manchmal mit einem Kampf, der mit einer inneren Zerrissenheit und Unruhe einhergeht. Und der Film zeigt, wie es sein kann: Völlig aus dem Nichts kommt die Nachricht, unheilbar erkrankt zu sein. Der Zuschauer mag es kaum glauben: Diese fröhliche, fitte und positive Frau soll sterbenskrank sein? Und nur noch wenige Monate zu leben haben? Man hofft mit ihr und für sie und am Ende begleiten wir sie zu Hause auf ihrem letzten Weg. Der ruhige 87-jährige Rupert Gässler mag nicht mehr und kann nicht mehr gegen seine Krankheit ankämpfen. Der Körper ist zu schwach und er stirbt im Krankenhaus. Wie ein Ausgleich wirkt der agile 97-jährige Dr. Franz Rilling, der mit den zahlreichen Tücken und Hindernissen seines hohen Alters zu kämpfen hat. Es ist wunderbar anzuschauen, wie er mit dem Elektroauto flotte Runden über den Golfplatz dreht und am Ende mit seinem Fahrrad (mit 3 Rädern) die Straße auf und ab radelt. Und wie sein Sohn mit gewissen Stolz und auch mit Sorge seinem Vater hinterher schaut und sagt "Er ist 97!".

    Solche Dokus brauchen wir. Insbesondere, weil das Thema Sterben auch ein Tabuthema ist. Doch er betrifft uns alle.

  • U
    Ulrike

    Beeindruckende Reportage...und ich finde, es gehört eben zum Leben dazu.. genau wie Doku`s über Geburten... nur wollen manche eben nichts von diesem Thema wissen