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Archiv-Artikel

ARBEITSLOSENGELD II UND DAS KINDERSPARBUCH – DIE ARMUT RÜCKT NÄHER Aufschlussreiche Aufregung

Plötzlich staunen alle: Beim neuen Arbeitslosengeld II dürfen die Kinder von Langzeitarbeitslosen ja nur noch 750 Euro auf ihren Sparbüchern haben! Was darüber liegt, muss im wörtlichen Sinne aufgezehrt werden, bevor der Staat die Kinder unterstützt. Nichts wird geschont – auch die Rücklagen für die Ausbildung müssen aufgelöst werden.

Das ist bitter für die Betroffenen – aber es ist auch bitter, dass es dem Rest der Bevölkerung erst jetzt auffällt. Denn es handelt sich keineswegs um Neuigkeiten. Seit mehr als einem Jahr ist bekannt, dass Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden. Und zwar auf dem Niveau der Sozialhilfe. Daher warnt der Kinderschutzbund schon seit Monaten davor, dass das neue Arbeitslosengeld II noch mehr Kinder in die Armut drängt. Bisher erhalten eine Million Minderjährige Sozialhilfe, künftig werden 1,5 Millionen Sozialgeld erhalten. Aber auch diese Zahlen haben bisher niemanden sonderlich interessiert.

Nun aber sind alle erschrocken, dass es ans Kindersparbuch geht. Dabei ist das neue Gesetz gerade in diesem Detail nicht ganz so grausam wie sonst: Bisher galt in der Sozialhilfe ein Schonvermögen von 256 Euro pro Kind – dieser Satz wird nun auf 750 Euro angehoben.

Die neue Aufregung über längst verabschiedete Gesetze ist aufschlussreich: Sie zeigt, wie wenig die Mehrheitsgesellschaft offensichtlich über die Realitäten der Armut weiß. Bisher verdächtigten viele die Sozialhilfeempfänger, dass sie auf Kosten der Steuerzahler bestens lebten. Dieser Glaube wird erst jetzt erschüttert, wo neue Gruppen in das Sozialhilfeniveau rutschen. Ihre massiven Zukunftssorgen signalisieren nun allen: So lustig kann es nicht sein am untersten Rand der Gesellschaft.

Gleichzeitig, das feuert die Ängste an, ist dieser unterste Rand gar nicht mehr ganz so weit unten. Waren die Sozialhilfeempfänger früher eher fern, kennt jetzt jeder doch zumindest jemanden, der jemanden kennt, der das Antragsformular für das Arbeitslosengeld II zugeschickt bekam. So viel entfernte Nähe nährt die Sorgen um die eigene Existenz. Daher dürfte das Kindersparbuch nicht die letzte Grausamkeit gewesen sein, die nun ganz neu entdeckt wird. ULRIKE HERRMANN