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Archiv-Artikel

ARABER, DIE AUF JIDDISCH SPERRMÜLL SAMMELN, SIND SUSPEKT Ein Holzstuhl. Holzstuhl?

VON SUSANNE KNAUL

AUS ISRAEL

Araber in Israel sein, das ist ungefähr so wie Roma in Mitteleuropa, abgesehen davon, dass Araber aus israelischer Sicht potenziell alles Terroristen sind. Wenn irgendwo etwas geklaut wird, gerät zuallererst der „Angehörige einer Minderheit“, wie es hier politisch korrekt heißt, in den politisch unkorrekten Verdacht. Bei uns im Dorf jedenfalls werden die Türen doppelt gut abgeschlossen, wenn die Beduinen im nahegelegenen Wald ihre Zelte aufschlagen.

Um Ruhe und Ordnung zu schützen, sind jetzt alle Dorfbewohner aufgefordert, den „Alten Sachen“ das Gefühl zu vermitteln, dass sie unerwünscht sind. „Alte Sachen“ ist Jiddisch und bedeutet frei übersetzt Sperrmüllsammler, weil die per Flüstertüte die Leute mit „Alteee Socheeeeeeen“-Rufen dazu auffordern, rauszubringen, was nicht mehr gebraucht wird.

Manchmal rufen sie auch im wütenden Stakkato: „al-te Sa-chen, al-te Sa-chen“, und fügen dann – allerdings nicht mehr auf Jiddisch – an, was sie damit meinen: „Alles kauft man: Tisch, Stuhl, Frijidäär, Schrank, Gasofen, Waschmaschine, Sofa.“

Der Begriff stammt aus Osteuropa. Von dort brachten die Juden die „Alten Sachen“ mit, und dabei blieb es, obschon heute kaum noch ein Sperrmüllsammler osteuropäische Wurzeln hat und oft noch nicht einmal Jude ist. „Alte Sachen“ sind fast immer Araber, und die sind im Dorf aus erwähnten Gründen nicht erwünscht. Man solle sich demonstrativ vor ihren Wagen stellen und sie fotografieren, heißt es in der Rundmail, die auf private Initiative über den Zentralverteiler an alle rausging.

Eigentlich wäre es schade, wenn die „Alten Sachen“ nicht mehr zu uns kämen. Es ist so praktisch, den Sperrmüll einfach auf die Straße zu stellen, bis die „Alten Sachen“ ihn abholen. Öffentliche Sammelstellen gibt es nicht, und wer entsorgt seinen alten Fernseher schon gern im Wald. Umgekehrt findet sich auch mal ein schönes Stück, wenn der Nachbar entrümpelt.

Vorgestern zum Beispiel fand ich zwei Straßen weiter einen tadellos intakten Holzstuhl, den jemand an der Autoauffahrt für die „Alten Sachen“ bereitgestellt hatte und der prima auf meinen Balkon passt.

Das Relikt aus alten Zeiten, das mit Relikten aus alten Zeiten handelt, weckt nostalgische Gefühle. Vor allem in Tel Aviv, wo die Sperrmüllsammler bisweilen noch mit Pferdewagen unterwegs sind, was aber aus Sorge um das Wohl der Tiere jetzt verboten werden soll. Auf dem Land sind die „Alten Sachen“ hingegen schon lange motorisiert.

Trotzdem wärmt es das Herz, wenn im Zeitalter von Internet und Webseiten für den Zweite-Hand-Handel von Zeit zu Zeit richtige Menschen bis an die Tür kommen und lebhaft um ein paar Schekel schachern.

Wenn nur dieses dumme Vorurteil mit den Arabern nicht wäre. Vorläufig scheint noch niemand dem Appell zu folgen, die „Alten Sachen“ zu fotografieren, und in den aktuellen Rundmails an die Dorfbewohner geht es längst um brennendere Themen. Da sei jemandem ein Holzstuhl abhandengekommen, heißt es in einer der Nachrichten, und die Beschreibung gleicht auffallend dem neuen Möbelstück auf meinem Balkon.

Außerdem gibt es eine neue Sammelbox für Pfandflaschen und die Warnung an Hundebesitzer, ihre treuen Vierbeiner nicht länger herumstreunen lassen. Die Sammelbox kenne ich schon und einen Hund habe ich nicht.

Nur die dumme Sache mit dem Stuhl ist noch offen. Wie kriege ich den jetzt möglichst unauffällig von meinem Balkon zu den Beduinen?