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APOKALYPSE Heinz Helles Endzeitvision „Eigentlich müssten wir tanzen“ nimmt das Genre nicht ernst genugDie Apokalypse als Staffage

Helle traut dem Menschen im Ausnahmezustand rationales Handeln nicht mehr zu Foto: Jakob Friholm/plainpicutre

von Frank Schäfer

Die Wiederkehr des Kalten Krieges schürt längst vergessen geglaubte Katastrophenängste. Vielleicht kommen ja sogar die apokalyptischen Achtziger zurück. Heinz Helles Dystopie „Eigentlich müssten wir tanzen“ könnte dann das Buch der Stunde oder doch zumindest Sekunde werden. Und möglicherweise lesen es Sozialhistoriker später einmal als Symptom einer Zeitstimmung. Als literarisches Ereignis wohl eher nicht.

Fünf alte Schulfreunde verbringen ein Wochenende auf der Berghütte, und am Sonntag kurz vor der Rückfahrt geht die Welt unter. Wie oder wodurch, wird nicht weiter erläutert. Das Tal brennt, die Menschen flüchten. Das Protokoll des namenlosen Ichs setzt ein, da sind die fünf schon ein paar Wochen unterwegs und fast keine Menschen mehr. In der ersten Szene frieren sie und rücken wie ein Rudel eng zusammen, in der zweiten vergewaltigen sie eine Frau. Nacheinander, alle kommen mal dran.

Helle findet durchaus ein paar verstörende, mit der Ästhetik des Horrors kokettierende Bilder, aber die emotionsarme, wenig expressive Beschreibung des längst abgestumpften Erzählers nimmt ihnen gleich wieder etwas von ihrer Wirkung. Er will eben keinen Endzeitthriller schreiben, sondern Literatur. Und das ist genau das Problem. Helle nimmt sein Genre nicht ernst genug, und so unterlaufen ihm zu viele Ungereimtheiten und Plausibilitätsfehler, die der Kunst dann im Wege stehen.

So agieren die dramatis personae chaotisch und völlig irrational. Ständig stoßen sie auf Reste der alten Zivilisation, die lebenswichtiges Gerät für sie bereithält, aber sie verschwenden einige Energie darauf, diese Relikte zu zerstören, und sind nicht in der Lage, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Verbandszeug und Hammer werden achtlos weggeworfen, dabei ist ihr Überlebenswille weiterhin ungebrochen.

Warum eigentlich sollte man in Katastrophenzeiten nicht mehr zu rationalem Handeln fähig sein? Und warum sollten ethische Imperative gar keine Rolle mehr spielen? Die Geschichte lehrt doch was anderes. Es gibt immer beides, totale Amoralität und sittliche Standhaftigkeit. Aber diese Überlebenden wollen nicht einmal mehr wissen, was der Welt passiert ist.

Die totale Vertierung

Man versteht diese Endzeittypen nicht – beziehungsweise versteht man sie nur zu gut, wenn man erst mal herausgefunden hat, warum sie so agieren. Das Buch hat nämlich eine zentrale These. Helle beschwört die totale Vertierung des Menschen, wenn die zivilisatorischen Schranken erst einmal gefallen sind.

Er konstatiert einen Totalverlust der Kultur und schließlich eine allmähliche Rückkehr vom Logos zum Mythos. Auch das wird eher dekretiert. „Ich stelle mir vor, wenn nach uns jemand die Welt wieder aufbaut, wird es eine schweigsame Welt sein. Die Menschen werden sich nur mit Blicken austauschen, mit vorsichtigen Gesten und sanften Berührungen, und sie werden die Stimmbänder nur nutzen, um zu lachen oder zu seufzen. Die Menschen werden auf das, was sie meinen, zeigen, und alles, worauf man nicht zeigen kann, weil es nicht da ist oder abstrakt, das alles kann man dann auch nicht mehr meinen.“

Man spricht also nicht mehr in der Postapokalypse. Jetzt wird auch klar, warum „Eigentlich müssten wir tanzen“ beinahe ohne wörtliche Rede auskommen muss. Und warum auch der Erzähler kein großer Ver­bal­eroti­ker ist. „Alles in allem mögen wir diese Welt nicht mehr besonders. Trotzdem setzen wir weiter schön brav einen Fuß nach dem anderen in sie hinein.“

Der Autor kann kaum verbergen, das ihn das apokalyptische Szenario vor allem als Illustra­tions­material seiner These interessiert. Das ist narrativ zu wenig. Cormac McCarthy ist in seinem Meisterwerk „Die Straße“ genau den anderen Weg gegangen. Er hat das Genre studiert und aus der einschlägigen Trash- und Junk-Literatur etwas von literarischem Format destilliert, das sprachlich ganz andere Register zieht und dabei auch noch zu einem viel differenzierteren Bild des Menschen in Extremsituationen kommt.

McCarthy ist ein wahrer Höllenbreughel im Ausmalen nachzivilisatorischen Schreckens, aber bei ihm existiert die Idee des Guten sogar dann noch, wenn alle Realitäten dem widersprechen. Das erscheint mir weiterhin die humanere und zugleich auch plausiblere Lesart der Menschheitsgeschichte zu sein. Helles sinistre Umdeutung hat jedenfalls im Vergleich zu McCarthy literarisch die weitaus schwächeren Argumente.

Heinz Helle: „Eigentlich müssten wir tanzen“. ­Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, 174 Seiten, 19,95 Euro

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