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Archiv-Artikel

ANTITERRORPAKETE: RECHTSSTAAT BLEIBT, ABER GRÜNDE UNKLAR An den Grenzen der Auswertung

Als Bundesinnenminister Otto Schily nach dem 11. September 2001 die Sicherheitsgesetze durchs Parlament peitschte, blieb der irritierten Öffentlichkeit ein wichtiger Trost: Wenigstens sollte bis zur Hälfte der Regierungsperiode 2002/2006 geprüft werden, was die Antiterrorpakete bringen – wem sie nützen, wem sie schaden. Sollte der Rechtsstaat also bis 2004 abgeschafft worden sein, bekämen wir das dann wenigstens per offizieller Auswertung schwarz auf weiß belegt und dürften darüber diskutieren.

Nun liegt der Evaluationsbericht, monatelang verzögert, zwar immer noch nicht der Öffentlichkeit, aber schon den Innenpolitikern vor. Und sie erklären: Der Rechtsstaat ist noch da, und die Terrorgesetze sind sparsam angewandt worden. Daraus zieht die Koalition nun gleich zwei einander entgegengesetzte Schlüsse. Die Terrorgesetze sind also nicht so schlimm und werden ziel- und passgenau angewendet – so sagen die Grünen. Die Sicherheitsgesetze funktionieren nicht richtig, deshalb konnten sie gar nicht häufiger angewandt werden – das meint der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Deswegen müssten die Geheimdienstbefugnisse aufgepolstert werden.

Es ist aber auch ein dritter Schluss möglich. Der Rechtsstaat mag seine neuen Instrumente sorgsam eingesetzt haben – aber was mit ihren Daten gemacht wird und werden darf, hat die Öffentlichkeit längst aus den Augen verloren. Schilys Antiterrorpakete formulieren einen Generalverdacht gegen die ganze Bevölkerung unter besonderer Berücksichtigung der nichtdeutschen Mitbürger, so viel ist angekommen. Welche Daten über Kontenbewegungen oder Flugreisen nun von welchem Computer auf einen anderen fließen, vermag kein Einzelner mehr nachzuvollziehen. Er klammert sich an sein Selbstbild des „unbescholtenen Bürgers“, dem doch hoffentlich nichts am Zeug zu flicken sei. Wenn er bloß nicht auffällt! Das Selbstbewusstsein der vielen Kleinen gegenüber dem großen Staat bröselt. Doch das erfasst kein regierungsamtlicher Evaluationsbericht.

ULRIKE WINKELMANN