ANGEBLICHE CASTOR-TRANSPORTE: KEIN GRUND ZUR AUFREGUNG: Nicht geheim, sondern erwünscht
Jetzt heißt es wieder: „Haut den Jürgen!“ Und zwar kräftig. „Geheime Atomtransporte“ seien von Hanau aus zur Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in La Hague gerollt, so die Vorwürfe französischer und deutscher Atomkraftgegner. Und Jürgen Trittin sei verantworlich – ein Dunkelmann. Die Bundesregierung habe sich sogar über einen Erlass der Kohl-Regierung hinweggesetzt! Hatte doch die damalige Bundesumweltministerin Merkel 1998 verfügt, dass so lange kein Atommüll in Castorbehältern transportiert werden darf, wie die Probleme mit der „Dichtigkeit“ nicht gelöst sind. Und das waren sie im letzten Jahr noch nicht. Jürgen Trittin – noch schlimmer als Merkel. Das ist die maximale Steigerung des Feindbilds.
Alles Quatsch. Es gab zwar im Jahr 2000 Transporte von Hanau nach La Hague. Doch waren es keine Castoren, sondern „Stachelbehälter“. Und sie waren auch nicht mit Atommüll, also abgebrannten und hochradioaktiven Brennelementen gefüllt, sondern mit unbestrahlten Brennelementen aus der alten MOX-Fabrik Alkem. Diese Transporte waren weder verboten noch „geheim“ – sie waren von allen erwünscht.
Alkem (alt) soll abgerissen werden. Und also müssen die unbestrahlten Brennelemente vorher raus. Es war der größte Erfolg von Joschka Fischer, noch als hessischer Umweltminister, dass er diese Brennelementeschmiede stillgelegt hat. Der nur folgerichtige Abriss durch Siemens wurde in Hanau öffentlich erörtert, die Atomkraftgegner und die „kritischen Öffentlichkeit“ waren beteiligt. Siemens machte damals kein Geheimnis daraus, dass vor dem Abriss Atomtransporte nötig sind. Und den Abriss wollten alle. Die Transportgenehmigungen kamen denn auch bald: noch von der rot-grünen hessischen Landesregierung unter Ministerpräsident Hans Eichel (SPD). Und kein Atomkraftgegner protestierte dagegen.
Eine Frage stellt sich allerdings: Was haben unbestrahlte Brennelemente in einer WAA wie La Hague zu suchen? Nur „abgebrannte“ können schließlich wiederaufbereitet werden. Offenbar wollen die deutschen Energieversorgungsunternehmen das Uran in diesen Mischoxyd- Brennelementen (MOX) von Plutonium trennen lassen. Neue Brennelemente, gefüllt mit dem separierten Uran, könnten dann wieder in deutschen Atommeilern zum Einsatz kommen. Es ist abzusehen: Wieder werden Transporte aus Frankreich nach Deutschland rollen. Und was geschieht mit dem separierten Plutonium? Da gibt es dann tatsächlich viel zu tun – für die Bewegung.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen