ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Israel und seine Kritiker
Kürzlich diskutierten Judith Butler und Micha Brumlik über die Frage „Gehört der Zionismus zu Deutschland?“ im Jüdischen Museum zu Berlin. Für ihre israelkritischen Einlassungen wurde die frisch gekürte Adorno-Preisträgerin Butler immer wieder mit Applaus bedacht, der Frankfurter Professor und taz-Autor Micha Brumlik hatte es mit seinen Plädoyers – die Kritik an israelischer Regierungspolitik nicht mit einer Infragestellung des Staates Israel insgesamt zu verbinden – deutlich schwerer. Der geistlose deutsche Kulturbetrieb steuerte dem Abend einen Moderator Andreas Oehler bei, der die Fragestellung in „Gehört die Diaspora zu Israel?“ verdrehte und vom jüdischen Staat als „Totgeburt“ und „Krüppel“ redete – natürlich provokativ gemeint.
Es sind solche Momente wie im Jüdischen Museum, in denen man sich gruselt und fragt, mit wem man hier im Saal sitzt. Sind es die Nachfahren der Täter, die der Opfer oder einfach nur Gendertrouble-Studenten? Wer hat hier, 2012, mit Empathie gespeiste Kenntnisse über den Völkermord an den Juden, die Gründung Israels oder das jüdische Leben im heutigen Deutschland, jenseits von Folklore?
In dem gerade im Beck Verlag erschienenen ausgezeichneten Band „Die Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart“ wäre nachzulesen, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, um Einrichtungen wie das Jüdische Museum in Berlin überhaupt erst zu schaffen, „im Land der Mörder“, um dort so selbstverständlich und von Brumlik kritisiert über den Boykott Israels zu diskutieren.
„Neben den etwa 15.000 deutsch-jüdischen Überlebenden und Rückkehrern aus dem Exil hielten sich in den unmittelbaren Nachkriegsjahren etwa 250.000 Personen, die den Holocaust in Osteuropa überlebt hatten – die sogenannten Displaced Persons (DPs) – zumeist in der amerikanischen Zone Deutschlands auf“, schreibt Herausgeber Michael Brenner in seinem Vorwort zur „Geschichte der Juden in Deutschland“ nach 1945. Der Historiker Dan Diner skizziert in dem Einleitungskapitel des Bandes, was es für diese jüdischen Überlebenden des Völkermords bedeutete, in Deutschland zu bleiben, „auf der blutgetränkten Erde“, anstatt nach Israel auszuwandern, wie von den zionistischen Organisationen gefordert. Diners historischer Abriss über die verschiedenen jüdischen Positionen, die Kämpfe um Entschädigung und Restitution, Integration und Auswanderung ist mit „Im Zeichen des Banns“ getitelt. Ein Bann, der von zwei Seiten kam: Für die meisten Juden schien ein Weiterleben im Land der Täter nach 1945 undenkbar, und die Mehrheit der Tätergesellschaft tabuisierte die Schoah und alles Jüdische.
Juden, die in Deutschland einen Neuanfang wagten, blieben so oft in der inneren Emigration, wollten nicht auffallen. Constantin Goschler und Anthony Kauders beschreiben in dem genannten Band, wie diese Haltung zwischen 1968 und 1989 allmählich aufbrach. Die politische Einmischung einer neuen Generation linker, deutsch-jüdischer Intellektueller, vornehmlich aus Frankfurt am Main, zu denen auch Dan Diner und Micha Brumlik selbst gehörten, weise auf eine sich ändernde Wahrnehmung und die Emanzipation, die der schließlich allseits akzeptierten Integration der Juden in Deutschland vorausging.
Aber was war dieser Abend mit Butler in Berlin? Ausdruck und Teil dieser Emanzipation oder antiisraelischer Backlash?
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat