: AN DER LEINE
■ Erste Reisemesse der Deutschen Demokratischen Republik
Die Zahl der Beispiele vermeintlicher kapitalistischer Omnipotenz nach dem „Fall der Mauer“ ist Legion. So auch im Reisegeschäft.
Kürzlich lud die „Arbeitsgemeinschaft Städte der DDR“ und das ostdeutsche Ministerium für Tourismus zur ersten Reisemesse der Deutschen Demokratischen Republik ein. Etwa in die Messestadt Leipzig oder in die Hauptstadt Berlin? Mitnichten. Wie weiland Heinrich IV. auf seinem Gang nach Canossa zogen die Repräsentanten der ostdeutschen Feriengebiete in die niedersächsische Provinzmetropole Hannover an der Leine.
Macht und Kraft des westdeutschen (Reise-)Kapitals wurden im Hannoveraner „Congress Centrum“ deutlich demonstriert. Reihten sich die Ausstellungskojen der DDR-Städte und Regionen in vier langen Reihen dicht an dicht und wurde der einzige DDR-Reiseveranstalter, „Jugendtourist“, an den Rand in eine dunkle Ecke gedrängt, präsentierte sich der kapitalistische Reisegigant, die „Touristik Union International (TUI)“, in bevorzugter Position an der Stirnseite des Raumes.
„Gönnerhaft“, so ein Messeteilnehmer, empfing die TUI die touristischen Nachwuchsschüler aus der DDR am ersten Abend zum Diner im Firmensitz an der Leine. Die Ostdeutschen zeigten sich ob des gebotenen Luxus auch gebührend beeindruckt: „Dieses Fluidum! Es war wunderschön“ - die Vertreterin der „Brandenburg-Information“ war noch am Tag danach ganz begeistert.
Ansonsten hielt sich die Euphorie in Grenzen. Mangels wirksamer Öffentlichkeitsarbeit war die Reisemesse eher ein Flop, die wenigen Besucher verliefen sich in der langgestreckten Messehalle. Die fast ohn‘ Unterlaß dröhnende Volksmusik -schrumm-schrumm- behinderte lautstark die Geschäftsgespräche (deswegen war man doch gekommen), und das „Fluidum“ im „Congress Centrum“ konkurrierte mit dem Charme einer Lagerhalle.
Hieran konnten auch die liebevoll mit Kunsthandwerk (Oberlausitzer Keramik, Holzfiguren aus dem Erzgebirge) und Hochprozentigem (Spreewald-Bitter, Rostocker Kümmel) dekorierten DDR-Stände nichts ändern. Die Touristiker aus Magdeburg und aus der Uckermark mochten noch so freundlich und hilfsbereit sein, vom Weltniveau vergleichbarer westeuropäischer Tourismusbörsen war die „Erste Reisemesse der DDR“ eben noch meilenweit entfernt.
Reinhard Kuntzke
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