piwik no script img

Archiv-Artikel

AMNESTIEN FÜR DIKTATOREN UND FOLTERER MÜSSEN IRGENDWANN ENDEN Gegen ein Trauma hilft nur das Recht

Nun hat also endlich auch Uruguay ernsthaft mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der Militärdiktatur angefangen und sechs frühere Militärs sowie zwei Polizisten wegen Verbrechen schuldig gesprochen, die sie im Rahmen der „Operation Cóndor“ in den Siebzigerjahren begangen hatten. In Uruguay war – im Unterschied zu Chile und Argentinien – noch bis heute aufgrund eines Amnestiegesetzes von 1986 jede Strafverfolgung unmöglich. Es brauchte erst eine sozialdemokratische Regierung, der auch einige ehemalige Führer der Tupamaro-Guerilla angehören, um das andauernde Unrecht der Straflosigkeit für schwerste Verbrechen zu beenden.

Im benachbarten Argentinien sind erst jetzt die Amnestien von 1990 für etliche Junta- und Regierungsmitglieder wieder aufgehoben worden. In Chile stehen Prozesse gegen Exdiktator Pinochet an. So spät, wie all das kommt, so notwendig ist es doch. Das, was die Traumaforschung seit langem weiß – dass die Traumatisierung durch erlittenes Unrecht bei Fortbestehen desselben Unrechts kaum therapierbar ist – gilt auch für Gesellschaften. Zwar hatten die entstehenden Demokratien einst die Straflosigkeit der Verbrechen in Kauf nehmen müssen, um überhaupt den Abgang der Militärs zu sichern. Doch auf Dauer ist eine solche Verdrängung nicht akzeptabel.

Dieser Umstand ist auch für zukünftige Konfliktlösungen bedeutsam. Bei der politischen Beendigung von Bürgerkriegen wird fast überall Strafverzicht eine Rolle spielen. In einigen afrikanischen politischen Prozessen – etwa Liberia – erschien sogar der Verfolgungsanspruch des neuen Internationalen Strafgerichtshofs plötzlich kontraproduktiv. Muss also immer erst Zeit vergehen, damit sich Gesellschaften ihrer Verbrechen annehmen können? Wenn sie damit allein gelassen werden, wird das so sein; mit Unterstützung von außen kann es aber oft schneller gelingen. Die internationale Gemeinschaft muss deswegen ihre Strafandrohung für Verbrecher unmissverständlich machen – am besten, bevor Verbrechen überhaupt begangen werden. BERND PICKERT