AM TELEFON : Scheißbundeswehr
Die junge Frau gegenüber in der S-Bahn tippt die ganze Zeit auf ihrem Handy rum. Sie ist vielleicht 18 oder 19 und trägt diese komisch unförmigen flachen, breiten Stiefel, die es seit letztem oder vorletztem Winter gibt. Aus Fakewildleder. Solche Schuhe machen hässliche Astronautenfüße, das merkt aber wieder keiner außer mir. Ihre Augenbrauen sind dünn und dunkel nachgemalt. Sie tippt, tippt, tippt, dann wartet sie. Das Handy klingelt. „Hey“, sagt sie zur Begrüßung, „alles fresh? Haste überlegt?“ Dann Pause, sie hört zu.
„Nee, komm“, sagt sie dann, „Berlin ist gar nicht so schlimm, echt nicht. Ja, Kreuzberg, Neukölln und so. Wedding ist auch okay. Nee, ich wohn ja in Zehlendorf, das ist woanders. Süden, genau. Du kannst erst mal bei uns schlafen. Im Gästezimmer. Oder bei mir im Zimmer. Ja, tüllich werden da Leute überfallen, aber auch nicht sooo oft. Und wenn, dann auch nicht einfach so. Dann gibt es meistens irgendwelche Zusammenhänge und so. Nee, mir noch nie. Und auch keinem, den ich kenne. Berlin ist halt Hauptstadt, ey, da ist alles bisschen dramatischer. Normal. Nee, echt, brauchste keine Angst haben, dir passiert hier echt nichts. Nee, ich arbeite doch gerade aufm Weihnachtsmarkt. Ja, dann vielleicht wieder im Laden, mal gucken. Was, Bundeswehr? Du auch oder was? Scheiße Mann, wieso denn? Ja, ich weiß, Tobi will das auch. Bundeswehr, Mann, mach das nicht, wieso wollt ihr das denn alle? Ich versteh euch nicht, ey. Weißt du, erst hast du Angst, dass dich auf der Straße jemand schubst und böse Wörter sagt, und dann gehst du zur Bundeswehr und willst Terroristen in der Wüste erschießen oder was? Das ist doch krank, ey, paranoid! Ja, geh mal zur Scheißbundeswehr, mir egal, was du machst, und wenn du doch nach Berlin kommst, kannste gucken, wo du schläfst, du Pfeife.“
Dann legt sie auf und schiebt das Handy in die Tasche.
MARGARETE STOKOWSKI