ACKERSTRASSE : Aggrobürger am Start
Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein Transporter auf der Ackerstraße in zweiter Reihe parkt. Das wäre weiter nicht schlimm, wäre die Ackerstraße in den letzten Jahren nicht verbürgerlicht. Passiert man auf dem Fahrrad sitzend den auf der Ackerstraße stehenden Transporter, wird man währenddessen garantiert von einem Auto überholt. Es wäre gerade Platz genug für einen Transporter, ein Fahrrad und ein überholendes Auto, wenn man sie im Ruhezustand nebeneinanderstellen würde. Befinden sie sich aber relativ zueinander in Bewegung, dann ist es definitiv zu eng.
Ein normal denkender Mensch, der Achtung für die Würde und Unversehrtheit anderer hat, wartet daher, bis der Fahrradfahrer am Transporter vorbei ist. Und überholt erst dann. Aber es gibt Leute, die sind nicht so. Empirisch betrachtet sind die Brutalo-Überholer welche, die auch besonders breite Autos fahren. Man hört sie, gerade hat man das Hinterrad des Transporters hinter sich gelassen, aufs Gas treten. Dann rasen sie an einem vorbei.
Heute ist es ein dunkel lackierter 7er BMW aus Chemnitz. Drin sitzt ein Endfünfziger mit Bauch im karierten Hemd. Ich stelle ihn an der Ampel. Ob es denn sein müsse, dass sich der Herr in fünf Zentimeter Abstand an mir vorbeidrängle, frage ich. Was ich denn wolle, entgegnet er. Ich hätte schließlich Rechtsgebot!
Da muss ich erst mal drüber nachdenken. Ich komme zum Schluss, dass der Mann Rechtsgebot und Rechtsfahrgebot nicht auseinanderhalten kann. Da ist es wieder grün. Aggrobürger drückt aufs Gas und fährt. Geradeaus, obwohl er nur links oder rechts dürfte. Zehn Sekunden später hat er einer Frau im Kleinwagen die Vorfahrt genommen. Das beruhigt mich auf perverse Weise: Der Mann hegt gar keine heimlichen Vernichtungswünsche gegen mich! Er hasst bloß alles, was sich von allein bewegt.
ULRICH GUTMAIR