piwik no script img

■ A wie AnfangA wie Alaska

65 nördlicher Breite. Verdammt weit oben auf der Landkarte, wenn Sie wissen, was ich meine...

Hier, wo sonst nur der Schneefuchs sein klagendes Lied in die trostlose Stille des ewigen Eises heult, hören wir Schritte. Erschöpft und ausgezehrt bahnt sich ein Mann seinen Weg durchs öde Eis, bleibt stehen, blickt wild und wirr um sich, als suche er etwas in dieser Einsamkeit. Offenbar findet er es nicht, doch da besinnt er sich auf die Tequilaflasche, die er in seiner Rechten hält, und nimmt den letzten Schluck. Mit einer Geste, als sei er fertig mit dieser Welt, schleudert er die leere Flasche – doch sie löst sich nicht aus seinem eisigen Griff, sie ist festgefroren. Und so geht er weiter, mit staksendem Schritt, die leere Flasche in seiner Rechten wie das glasgewordene Symbol eines sinnentleerten Lebens...

Nennen wir ihn Richard. Richard stößt auf merkwürdige Rinnen im Eis, die sich im mystischen Twilight des arktischen Horizonts verlieren. Und Richard folgt ihnen. Hat nichts Besseres zu tun. Und wer sagt's denn, nach endlos scheinenden Stunden erreicht er Eureka, Heimat der nördlichsten Hamburger- Station der Vereinigten Staaten. Ein Anfang wäre gemacht...

Die Bedienung, eine zierliche Eskimo-Squaw mit unergründlich grünen Augen, legt den Hering beiseite, den sie gerade schuppt, wischt sich die Hände an der Schürze ab und fragt den Fremdling nach seinem Begehr.

Doch kein Laut entringt sich Richards unrasierter Kehle – zu lange hat er nicht mehr geredet. Mit einem munteren „Darf es vielleicht ein Herings-Burger sein?“ versucht die Schöne des Nordens dem wortkargen Gast die Bestellung zu erleichtern. Doch dieser schüttelt nur finsteren Blickes den Kopf.

„Wie wäre es mit einer schönen Portion Robben McNuggets, ganz frisch, mit hausgemachter Lebertransauce?“

Richards Stimmbänder scheinen mittlerweile Betriebstemperatur erreicht zu haben, und er sagt den Satz, dessentwegen er hierher gekommen ist – „Bringt mir den Kopf von Garcia Vega!“

Seine Stimme klingt rauh und unerbittlich. Und eines ist klar: Er meint, was er sagt. Erschrocken weicht die Eskimoschöne zurück. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie ist einiges gewöhnt von ihren Gästen, sind ja schon merkwürdige Vögel hereingeschneit in ihren Saloon, aber das...

„Den Kopf von Garcia Vega?“ widerholt sie stockend, und ihre Rechte tastet nach dem Messer, „a-a-aber Garcia arbeitet doch schon lange nicht mehr hier. Er ist zurück nach Mexiko...“

Das sitzt, wie ein Hieb mit dem Eispickel. Richard sackt in sich – in wen denn sonst? – zusammen. 5.000 Meilen gelaufen. Und wieder entwischt. Weiter kommt er nicht mit seinen düsteren Gedanken. Ein lautes Klirren unterbricht die unerträgliche Situation. Die leere Tequilaflasche hat sich endlich von seiner eisigen Hand gelöst, zerspringt am Boden. Ein Scherbenhaufen geplatzter Rachegelüste. Stumm stiert Richard in Richtung Küche.

„Dieser Kerl hat mehr Glück als Verstand“, zischt er zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen hervor, „wir sprechen uns wieder.“ Er sagt das alles natürlich auf englisch. Wortlos wankt er zur Tür, tritt hinaus. Das Angebot, zur Stärkung doch noch einen leckeren Hering- Shake zu nehmen, verhallt ungehört. Richard ist fast fertig mit dieser Welt, aber nur fast. Zuvor wird er ihn finden, Garcia Vega, den Mann, der ihn um seine Nuggets gebracht hatte, damals, in der Sierra Madre...

Wieder stapft er durchs Eis. Nach Süden, zurück durch die unendliche, weiße Weite Alaskas. Dort, wo sonst nur der Schneefuchs sein klagendes Lied in die trostlose Stille des ewigen Eises heult, verschluckt der Schnee die Schritte eines einsamen Rächers.

A wie Alaska.

A wie Aus. Rüdiger Kind

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen