A-Probe: Stoff für Muskeljunkies
■ Nandrolon, populärstes aller Anabolika, wird von Millionen genommen
Nandrolon gehört in die Gruppe der anabolen, also muskelaufbauenden Steroide, knapp Anabolika genannt. Innerhalb dieser Gruppe gilt es heute als das populärste Mittel. Es wird unter vielen Namen und Varianten in Kraftstudios verkauft und im Internet gehandelt. Deca-Durabolin, oft auch nur „Deca“ genannt, ist das am häufigsten verwendete Nandrolon-Präparat. Es hat starke muskelaufbauende Wirkungen, während die androgenen Eigenschaften eher schwach ausgeprägt sind. Androgen heißt „vermännlichend“: Bei Frauen wird die Stimme deutlich tiefer, das Gesicht härter, auch der Bartwuchs kann angeregt werden. Menstruationsstörungen sind möglich, der Appetit auf Sex steigt deutlich.
Bei Männern sinkt dagegen eher die Lust, Erektionsstörungen und Wachstum der Brust sind ebenso unerwünschte Nebenwirkungen wie Hodenatropie (Schrumpfung des Allerheiligsten) und Unfruchtbarkeit. Männer wie Frauen können durch Anabolika-Missbrauch ihre Leber schädigen und die Entstehung von Leberkrebs fördern. Eine Nebenwirkung ist auch das Auftreten von Akne.
Anabolika waren eigentlich entwickelt worden, weil man die muskelaufbauenden Eigenschaften des männlichen Hormons Testosteron erhalten, die androgenen Wirkungen aber unterdrücken wollte. Dies ist nicht vollständig gelungen. Anabolika werden therapeutisch für den Aufbau von Patienten bei Schwäche oder nach Operationen angewendet. Da der Schaden meist größer ist als der Effekt, ist der therapeutische Gebrauch deutlich verringert worden. Schweden hat schon 1988 alle Anabolika-Anwendungen verboten. Sportler nehmen wegen des Dopingeffekts oft die fünf- bis hundertfache Menge der empfohlenen Dosis ein (to dope heißt hinters Licht führen). In den USA dürften heute mehrere Millionen Athleten und Bodybuilder Anabolika einnehmen. Ivan Wolffers „Medikamentenführer“ behauptet, dass 40 % aller Bodybuilder solche Mittel nehmen. Die tatsächliche Menge dürfte heute eher noch größer sein.
Nandrolon wirkt vor allem auf den Stickstoff-Stoffwechsel. Der Muskel kann größere Proteinmengen einlagern. Dies geschieht allerdings nicht automatisch. Die Ernährung muß während der Einnahme eiweißreich sein. Außerdem wird „viel Schlaf“ empfohlen und entsprechendes Training. Das Medikament wird in der Regel über eine Periode von vier bis neun Wochen doppelt wöchentlich eingenommen. Als Abwehr gegen Dopingjäger kann auch die schneller wirksame Variante des Medikaments „Docabolin“ genommen werden.
Da Nandrolon-Präparate meist illegal eingenommen wird, liegen relativ wenig Daten über die Wirkungen und Nebenwirkungen bei hohen Dosierungen vor. Einige kontrollierte Studien wurden bei HIV-Patienten durchgeführt. Im Laufe der HIV-Erkrankung verlieren die Betroffenen oft erheblich an Muskulatur, weshalb vor allem in den USA häufiger Anabole Steroide verschrieben werden. Die Effekte sind erheblich: Innerhalb von sechs Wochen wuchs der Oberarmumfang einer Patientengruppe um durchschnittlich 0,067 Meter.
Noch immer kaum bekannt sind die psychotischen Wirkungen, die Anabolika wie Nandrolon auslösen können. Größenwahn und krankhaftes Misstrauen werden ebenso beobachtet wie Depressionen und manische Phasen. Im Fachblatt Lancet berichtete ein Forscher über eine Patientengruppe von 32 Absolventen einer Sportschule, die auffällige Symptome aufwiesen wie paranoische Anwandlungen, aber auch psychotische Vorstellungen – einer hörte Stimmen und behauptete, in seinen Kopf sei ein Radio eingebaut. Ein anderer kaufte sich gleich doppelt ein neues Auto.
Ein lebhafter Handel mit Nandrolon-Präparaten blüht im Internet. Hier können Muskel-Junkies detaillierte Auskunft kriegen. Frage- und Antwort-Buttons klären potentielle Käufer über Wirkungen und Nebenwirkungen auf und empfehlen die ideale Dosierung und Anwendung. „Hi, ich bin 38 und habe noch nie Anabole Steroide genommen. Mit welcher Dosis soll ich anfangen?“, fragen die Besucher der einschlägigen Seiten. Andere sind vorsichtiger: „Was ist, wenn ich nur die halbe Dosis nehme?“
Manfred Kriener
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