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80 Prozent nur mit den neuen Ländern

■ Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst Ostdeutschlands haben begonnen/ Arbeitgeberchefin Heide Simonis warnt Berlin vor Alleingängen

Berlin. Gestern begannen in Berlin die Tarifverhandlungen für die rund 1,4 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst Ostdeutschlands. Zugleich startete auch die Tarifrunde für die 196 Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn und die 100.000 Bediensteten der ostdeutschen Bundespost. Die Gewerkschaften haben bislang noch keine konkreten Forderungen benannt, sie wollen eine schnellstmögliche Angleichung der Löhne und Gehälter an die Westtarife. Wie der ÖTV-Verhandlungsführer Willi Hanss gestern erklärte, stehe ein »kräftiger Schritt auf die 100 Prozent« im Mittelpunkt ihrer Position. Derzeit bekommen die Beschäftigten 60 Prozent der Westtarife. Bereits am Dienstag hatte sich Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen dafür ausgesprochen das Lohnniveau im Ostteil der Stadt auf 80 Prozent des Westtarifs anzugleichen. Auch wenn die Verhandlungen für das Gesamttarifgebiet Ost nicht zu diesem Ergebnis führen, so wolle es der Senat für Ostberlin durchsetzen. Zu der Durchsetzbarkeit dieser Position befragte die taz die Vorsitzende der Tarifgemeinschaft der Länder, die schleswig-holsteinische Finanzministerin Heide Simonis.

taz: Frau Simonis, mit welcher Leitlinie geht die Tarifgemeinschaft der Länder an den Verhandlungstisch?

Heie Simonis: Mit Sicherheit muß versucht werden, eine Lohnpolitik für den Öffentlichen Dienst in den fünf neuen Ländern zu formulieren, die ihnen noch genug Spielraum für Investitionen läßt.

Berlins Regierender Bürgermeister, Eberhard Diepgen, hat die Anhebung der Tarife im Ostteil der Stadt auf 80 Prozent des Westniveaus ein Gebot der Stunde genannt. Werden Sie diesem Gebot folgen?

Herr Diepgen hat mit dem Satz angefangen: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Er hat sich damit selber Schwierigkeiten bereitet, weil er damit Erwartungen geweckt hat, die er nicht mehr einhalten kann. Ich glaube zwar, daß in Berlin die Probleme offen auf dem Tisch liegen, aber Potsdam und andere Städte sind nicht weit entfernt von Berlin. Herr Diepgen muß seine Position mit seinen Kollegen aus den neuen Ländern diskutieren, damit Berlin nicht zum Präzedenzfall wird für Zahlen, die die Finanzminister dort nicht mehr tragen können.

Würden Sie Berlin eine Sonderregelung zugestehen, eine Öffnungsklausel im Tarifvertrag, die eine Angleichung auf 80 Prozent ermöglicht.

Wenn die Berliner einen solchen Vorschlag machen, müssen neben mir noch 15 andere Ländervertreter gefragt werden. Es ist kein Problem zwischen Herrn Diepgen und mir, sondern er muß sich zunächst mit seinen Kollegen in den fünf neuen Ländern verständigen und dann mit seinen Kollegen aus den alten Ländern, ob er einen solchen Sonderweg einschlagen kann.

Berlin hat ja bereits im Landeshaushalt Vorsorge getroffen für die Tarifanhebung...

Das freut mich, daß der Senat plötzlich eine Milliarde in seinem Haushalt gefunden hat. Das dürfte sicher den Druck, von Bund und Ländern Hilfe bekommen zu müssen, erheblich mildern.

Haben Sie denn Verständis für die Berliner Position?

Ich kann das sehr gut verstehen, nur eins dürfen die Berliner nicht vergessen: in den neuen Ländern ist die zentrale Besserstellung von Berlin als ehemalige Hauptstadt der DDR noch nicht verarbeitet. Da gibt es sehr viel Narben. Deshalb ist mein Ratschlag: erstmal mit den anderen reden, ob die das mitmachen würden. Es kann nicht gutgehen, wenn am Ende die Berliner wieder besser behandelt werden als beispielsweise die Menschen aus Mecklenburg- Vorpommern.

Wie ist denn die Stimmung in der Tarifgemeinschaft?

Das hängt davon ab, wie die Berliner ihre Position darstellen. Ich kann nur raten, es nicht gegen alle zu machen.

Rechnen Sie mit langwierigen Tarifverhandlungen?

Wir haben ja zunächst das Problem, daß der Osttarif sich am Westtarif orientiert, der aber noch nicht angenommen ist. Es kann lange und harte Verhandlungen geben, schon allein aus dem Grund, daß die Eingruppierung der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst entsprechend den alten Ländern immer noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben deshalb immer noch nicht die selbe Basis für die Lohnberechnungen. Interview: Dieter Rulff

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