piwik no script img

68er-Aktivist über "Bild"-Umzug"Sollen Sie kommen!"

Peter Schneider war einer der Aktivisten gegen Springer 1967/68 in Berlin. Morgen zieht "Bild" von Hamburg nach Berlin - und Schneider sagt: "Willkommen - im Streit!"

Sie kommen: Kletterer befestigen das Logo der Bildzeitung an der Fassade des Axel Springer-Hochhauses in Berlin. Bild: dpa

taz: Herr Schneider, Bild zieht von Hamburg nach Berlin. Morgen ist die erste Redaktionskonferenz. Was sagt man dazu?

Peter Schneider: Ich sage nur: willkommen. Willkommen im Streit! Sollen sie doch kommen. Hoffentlich bringen sie Geld mit, das kann Berlin gut gebrauchen.

Bild: dpa

Peter Schneider wurde 1940 in Lübeck geboren und wuchs in Freiburg auf, wo er sein Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie aufnahm. 1967/68 avancierte Schneider zu einem der Wortführer der 68er-Bewegung. Er schrieb Erzählungen, Romane, Drehbücher und Reportagen sowie Essays und Reden, im Februar 2008 ist im Verlag Kiepenheuer und Witsch sein neues Buch "Rebellion und Wahn. Mein '68. Eine autobiographische Erzählung" erschienen.

Vor 40 Jahren kämpften Sie in Berlin mit dem SDS gegen den Springer-Konzern. Haben Sie Ihren Frieden gemacht?

Von der schieren Marktmacht und dem Stil von Bild geht nach wie vor eine Gefahr aus. Nach wie vor schürt Bild Neid, nach wie vor stellt Bild Menschen an den Pranger. Es ist nicht wahr, dass Bild die Leser dumm macht. Es macht sie ohnmächtig und mobilisiert sie für Dinge, die unter Umständen gar nicht in ihrem Interesse liegen - zum Beispiel für die Erhaltung des Flughafens Tempelhof. Ich erlaube mir, in dieser Sache keine Meinung zu haben. Ich frage nur, wie viele und welche Bild-Leser eigentlich den Flughafen Tempelhof benutzen.

Was hat sich geändert?

Wir - die Rebellen von damals und die Gesellschaft von damals. Auch Bild hat sich geändert. Bild ist mittlerweile zum Beispiel eher ausländerfreundlich. Aber Bild kann nicht einen Tag ohne Feinde leben. Die neuen Feinde sind Sozialschnorrer, die von ihren Hartz-IV-Bezügen Urlaub in Mallorca machen, oder Mütter, die ihre Kinder vernachlässigen.

In Ihrem Buch "Rebellion und Wahn. Mein 68" zitieren Sie den ehemaligen Bild-Chef Peter Boenisch mit den Worten, die Auseinandersetzung damals sei "von beiden Seiten hasserfüllt" gewesen. Stimmen Sie zu?

Ja. Der Unterschied ist nur, dass viele von den 68ern sich inzwischen mit ihren Entgleisungen von damals auseinandergesetzt haben. Von den Meinungstätern im Springer-Konzern ist - außer dem zwischen den Zähnen hervorgepressten Zugeständnis von Peter Boenisch - kein Wort gekommen. Bild hat uns Studenten als "Rote SA-Horden" bezeichnet und eine Hatz-und Lynchstimmung in Berlin erzeugt, die einen jungen Mann, der Dutschke ähnlich sah, fast das Leben gekostet hätte. Dass nach einer Veranstaltung zur Vorbereitung des Springer-Tribunals Steine gegen Morgenpost-Filialen flogen, war idiotisch und kontraproduktiv. Aber mindestens ebenso dumm und unverantwortlich war, dass die Springer-Presse diese Aktion mit der Kristallnacht von 1938 verglich und sich die Rolle der verfolgten Juden anmaßte.

Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke erklärten Sie und Ihre Kollegen Bild für schuldig. Wie stehen Sie heute dazu?

Sicher ist, dass Josef Bachmann (der Attentäter, d. Red.) in Bild über Dutschke gelesen hatte. Die Zuschreibung Axel Cäsar Springer = Mörder ist natürlich nicht zu halten. Man konnte und kann die Springer-Presse aber durchaus für die aufgeheizte Stimmung gegen Dutschke verantwortlich machen.

Lesen Sie Bild?

In einem Stehimbiss, in dem ich manchmal Suppe esse. Bei den Ärzten, zu denen ich gehe, wird Bild nicht geführt. Auch nicht bei meinem Friseur.

Und?

Wenn man seine politischen Leidenschaften beiseite lässt, kann Bild unterhaltsam sein.

Das Bild-kritische Weblog Bildblog.de wurde unter anderem gegründet, weil über Bild heute zu viel gelacht werde. Darf man über Bild lachen?

Natürlich darf man über Bild lachen. Die Schlagzeile "Wir sind Papst!" war doch genial. Und natürlich darf und soll man Bild bekämpfen und Bildblog.de unterstützen. Das ist das zivilisatorische Minimum.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!