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65 Jahre Befreiung KZ AuschwitzNiedertracht gehört dazu

Beim Auschwitz-Gedenken im Bundestag plädiert der Historiker Feliks Tych dafür, Verrat und Kollaboration bei der Betrachtung der Judenverfolgung stärker als bisher zu beleuchten.

Eingangstor zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II). Bild: Philippe Sergent – Lizenz: CC-BY-SA

BERLIN taz | Zur diesjährigen Gedenkfeier im Bundestag anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz waren zwei Redner geladen: der israelische Staatspräsident Schimon Peres, der aus dem heute zu Weißrussland gehörenden Teil Ostpolens stammt, und der polnisch-jüdische Historiker Feliks Tych.

Beide sind dem Tod knapp entronnen, beider Familie wurden fast zur Gänze von den Deutschen umgebracht. Peres entstammt einer tief gläubigen rabbinischen Familie, Tych einem aufgeklärten Elternhaus. Beide stehen exemplarisch für das vernichtete osteuropäische Judentum.

Peres warnte in seiner Rede davor, das Judentum nur im Zeichen der rauchenden Krematorien zu sehen, und beschwor das große geistige und künstlerische Potenzial, das nicht zuletzt Deutschland verlorengegangen sei.

Lost forever – Fotos von in Auschwitz ermordeten Menschen. Bild: Michal Osmenda – Lizenz: CC-BY-SA

Er sieht den Staat Israel als Antwort auf die Hoffnungen und die Sehnsucht der Ermordeten. Das schwierige Verhältnis Israels zu den Überlebenden des Holocaust spielte in seiner Rede keine Rolle.

Der Kern des Antisemitismus liegt für Peres im Hass auf die humanen geistigen Grundlagen des Judentums. Weshalb es die Aufgabe aller demokratischen Staaten sei, gegen antihumane Potentaten wie Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad Stellung zu beziehen.

Das Verhältnis Israels zu Deutschland beschwor Peres mit hymnischen Worten. Von Adenauer, "dem Vater der deutschen Demokratie", bis zu Angela Merkels "aufrichtigen Worten" nichts als Sonnenschein.

Politisch setzte sich Peres nachdrücklich für eine Friedenslösung auf der Basis zweier Staaten ein. In dem Optimismus, mit der er einen friedlichen Nahen Osten beschwor, war politische Distanz zur gegenwärtigen israelischen Regierung zu spüren.

Der Historiker Feliks Tych, der zweite Redner, war Spezialist für die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung und Rosa Luxemburg, ehe er sich der Erforschung des Judentums zuwandte, auch als Direktor des jüdischen historischen Instituts in Warschau.

Zeugen des Grauens: Schuhe, gesehen im Gedenkstättenmusuem Auschwitz. Bild: Tulio Bertorini – Lizenz: CC-BY-SA

Tych ließ keinen Zweifel an der Singularität der Naziverbrechen zu und betonte, dass 40.000 Juden (wie er selbst) von Polen gerettet worden seien. Dann aber entwickelte er ein bedrückendes Panorama von Niedertracht, Bereicherung und Pogromen selbst in Nachkriegspolen.

Er plädierte dafür, dass eine europäische Geschichte des Holocaust nur dann wahrhaftig sei, wenn diese Verrat und Kollaboration einschließe.

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18 Kommentare

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  • DS
    Das Selbst

    Was mich an dieser ganzen Sache noch stört ist das es hier das gleiche Proplem gibt wie bei den Muslimen. Juden wie Muslime sagen immer wir Muslime, wir Juden, und meinen damit quasi alle die diesem Glauben angehören.

     

    Haben die keine Persönlichkeit, gleiche Religion heißt das alle gleich sind.

    Manche waren zumindest so weit das sie sich Engländer, Franzosen, Deutsche usw. nannten und sich Heute als Europäer sehen oder einfach als Mensch.

  • DS
    Das Selbst

    @end.the.occupation

     

    Nach deinem Link zu beurteilen, herrschen da ja wircklich Zustände wie in Nazi Deutschland. Gettoisierung, Mauer und auch noch verschiedene Gesetzte im selben Staat. Das ist doch Diskriminierung, Unterdrückung und was weis ich was noch alles.

    Die Nazis wollten auch ihr Reich vor dem Feind im Inneren schützen.

     

    Manchmal kann man nur noch sprachlos schmunzeln.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    27.01.2010 19:32 Uhr:

    von end.the.occupation:

    Israelische Bürgerinnen und Bürger erklären:

    Shimon Peres spricht nicht in unserem Namen!

    Januar 2010

     

    ABER IN MEINEM!!!

    Und im Namen der Menschen, die ihn gewählt haben und darüber hinaus!

     

    Und das sind nunmal mehr Menschen als ein paar Ignoranten, die sich an die "israelkritischen" Medien in Europa ranschmeißen.

  • U
    UweRietmöller

    Der war gut, Otto Krüger.

    „in offizielen Reden von deutschen Politikern immer öffter verschleiert“

    Klasse. Darauf muss man erst mal kommen.

    Und wenn Du noch mehr absurde Behauptungen parat hast – immer raus damit!

  • T
    tuciu

    @UweRietmöller:

    "Die Polen waren genau solche fanatischen Antisemiten wie die Nazis. "

    In Polen gab es genau solche Antisemiten wie es Nazis waren. Neben Leute die Juden trotz drohender Todesstrafe (für Helfer und seine ganze Familie) geholfen haben. Es gab auch solche die Juden an Nazis ausgeliefert oder selbst getötet haben. Es gab also beide Zegota und Jedwabne, bzw. Kielce. Es ist allgemein bekannt und offen diskutiert.

    Was erfreulich ist, versucht die Mehrheit der polnischen Gesellschaft nicht, sich hinter "Nazis" als einzigen Täter zu verstellen. Wenn Sie solche Offenheit selbst ausüben wollten würden Sie schreiben:

    "Die Polen waren genau solche fanatischen Antisemiten wie die Deutschen. "

    Dieser Satz würde auch stimmen wenn es in Deutschland irgendwas ähnliches zu Zegota gäbe, was leider nicht wahr ist.

  • A
    atypixx

    @ John

     

    Ja, ich sehe es genau wie du. Die Singularität des Holocaust ist zunächst mal eine bloße Behauptung und keine goldene, göttliche Wahrheit. Auch habe ich gestern abend ähnliches geschrieben, mein Kommentar wurde allerdings nicht veröffentlicht.

  • OK
    Otto Krüger

    @UweRietmöller schrieb

    "Die Polen waren genau solche fanatischen Antisemiten wie die Nazis"

    Das ist selbstverständlich eine gemeine Lüge, wenn man bedenkt, dass im Falle von Holocaust der Tod "ein Meister aus Deutschland" war.

     

    Übrigens: Der Begriff Polen bezieht sich auf eine Nationalität. Der Begriff Nazis bezieht sich auf eine politsche Richtung. Auch wenn man sich dessen schämt, muss man offen zugeben, dass Nazis in Wirklichkeit Deutsche waren. Diese Tatsache wird auch in offizielen Reden von deutschen Politikern immer öffter verschleiert.

  • M
    Mensch

    Das Drama des Holocaust wird von diesen Nachkriegsgenerationen nicht gelöst werden. Denn die wollen es nicht whrhaben und der größte Teil der Kinder die nach dem Krieg geboren wurden sind von den Großeltern die das zugelassen haben erzogen worden. Dank Wirtschaftswunder.

    Wie die ethische Lage in Deutschland und Europa heute ist sieht man daran wie unterschiedlich Rechte und Linke heute geahndet werden. Jüngstes Beispiel und auffälligstes Dresden. Oder gehört der Student in München mit dem jüdischen Namen der mit 14 Schüssen niedergetrsckt wurde durch Polizeigewalt auch dazu?

  • VG
    Vera Gehlkiel

    Gerade jetzt wurde Shoah im Fernsehen wiederholt,

    Lanzmanns grosser Versuch über das menschliche

    Gehirn. Was dort zu besichtigen und anzuhören

    ist, gefasst in Bilder, welche die Schönheit

    jener jetzt fast menschenleeren Orte ebensowenig

    leugnet wie die Schönheit der gealterten Gesichter,

    die oft im Übermass konzentrierten Schilderungen

    der Opfer, jene sich gleichbleibende Zerstreutheit

    der Täter, die so beschämt scheinen, das sie noch

    nicht mal weinen können, und jetzt Opfer ihrer

    Opfer wurden, dadurch, das man diese Zwang zum

    Bericht, diese Szene im Frisiersalon, als sich

    Lanzmann entschuldigt, das er den tränenerstickten

    Barbier jetzt zwingt, weiter zu berichten, all das

    verweist dennoch auf nicht ausserhalb seiner selbst,

    löst nirgends eine Frage ausser jenen technischer

    Natur aus, die Lanzmann schon fragt, erweist die

    Banalität des Bösen vollständig, und schafft so

    auch Verständnis für Täter. Um sich als Täter zu

    insinuieren genügt es, die eigene Banalität in sich

    selbst anzusehen. Darin liegt auch ein seltsamer

    Trost, den der Film trotz allem bereitzuhalten

    scheint: all das liegt wohl im menschlichen Ermessen,

    und darum auch im eigenen Ermessen.

  • J
    John

    Ich bezweifle nicht das es spezifisch deutsche Aspekte dabei gab (vorneweg die industrielle Durchführung), doch seit ich Heinsohn gelesen habe bezweifle ich die Singulaität des Holocaust.

    Kambodscha und Ruanda, Maos Großer Sprung, Türkei gleich mehrfach usw. Das spricht eher dafür das es immer wieder vorkommt und Teil der menschlichen Ausbreitungsstrategie ist.

  • M
    matthias

    Wenn den "aufrichtigen Worten" von Frau Dr. Merkel nur auch Taten folgen würden.

    Der BDI würde ihr was husten, kämen dem Iran wirkliche Sanktionen zu Teil. So ist die Telekommunikationsüberwachung von Siemens-Nokia-Networks und mal schauen von welchen LKW die nächste Testrakete aus dem Iran abfliegt. Vielleicht wieder ein MAN?

     

    Begnügen wir uns auch mit der Vorstellung, die dt. Marine würde im Mittelmeer den Schmuggel von Waffen an die Hisbolah aufklären bzw. verhindern. In Wahrheit fragt sie per Funk nach und übermittelt die Daten an den Libanon. Den letzten spektakulären Waffenfund, aus dem Iran stammend, haben bekanntlich auch die Israelis gemacht.

     

    Und gern noch ein weiterer Nachtrag. Da kann die Kanzlerin noch so weise Sätze bilden, in Bezug auf Israel vertritt sie keine Mehrheitsauffassung in Deutschland. Dies ist die traurige Wahrheit, 65 Jahre nach der Befreiung Auschwitz'.

  • KE
    Katja Eisersdorf

    Schade,

    dieser Gedenktag sollte nicht für "Politik" dieser

    Art genutzt werden.

    Die Opfer haben aufrichtiges Gedenken und ehrliche Trauer verdient und sollten nicht benutzt werden!

    Das sollte auch Herr Peres beherzigen können.

  • MB
    mehrdad beiramzadeh

    wie passt das zusammen, dass die TAZ einerseits die toten juden von damals als heilig ansieht und anderseits die lebenden juden dadurch bekämpft, dass im bezug auf israel, der staat, der von fast allen juden der welt unterstützt wird, nur negative schlagzeilen wie "israel rüstet auf "israel greift an" "israel schottet ab" "israel tötet"....bringt?

     

    so etwas ist förderlich für den modernen judenhass, der dafür gesorgt hat, dass jüdische rabbis ihrer gemeinde raten, nicht als juden sichtbar in einige stadtteile mitten in europa aufzufallen.

  • U
    UweRietmöller

    So, so, der Pole hat uns also was zu sagen.

    Es wäre ja schön, wenn es so gewesen wäre. Aber es war nicht so.

    Die Polen waren genau solche fanatischen Antisemiten wie die Nazis. Den Kriegsausbruch haben die "genutzt" um Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung auszurichten (z.B. Jedwabne). Während der Nazi-Besatzung geflohne Juden haben oft nur wenige Tage überlebt, weil sie entweder von den Polen ermordet oder an die SS ausgeliefert wurden. Wie überhaupt die SS sich sehr wunderte, mit welchem Eifer die Polen die Juden denunziert haben.

    Und nach dem Krieg ging das so weiter. Oder haben Sie "Kielce" noch nie gehört?

  • MO
    Manfred Otto Niendorf

    Durch NDR-INFO erfuhr ich heute: Der Ankläger Adolf Eichmanns in Israel, also der Anwalt des Staates, war ein jüdischer Deutscher bzw. ein deutscher Jude. War mir völlig neu, finde ich sehr bemerkenswert und positiv.

  • E
    end.the.occupation

    Israelische Bürgerinnen und Bürger erklären:

    Shimon Peres spricht nicht in unserem Namen!

    Januar 2010

     

    http://www.juedische-stimme.de/material/100127-peresnicht.pdf

     

    Dieser Appell wurde unterschrieben u. a. von:

    Adam Yishay Amorai

    Udi ALoni

    Zohar Atai Ofra Ben-Artzi

    Natalie Cohen

    Michael Engel

    Eva Ferrero

    Prof. Rachel Giora

    Yoav Haas

    Dr. Roni Hammermann

    Iris Hefets

    Shir Hever

    Seffy Hurwitz Ofer Neiman

    Dr. David Nir

    Prof. Nurit Peled-Elhanan (Sacharow-Menschrechtspreis 2001)

    Moshe Perlstein

    Gideon Spiro (Überlebender der "Kristallnacht")

    Maya Wind

    Tom Yuval

  • F
    Frank

    @von Pole

     

    In Jedwabne schon mal nicht, nur so als Rechenhilfe.

  • P
    Pole

    Polen haben keine 40.000 Juden gerettet, sondern wesentlich mehr.

     

    Alleine die Organisation "zegota" hatte 75.000 Juden gerettet. Einfach in wikipedia "zegota" eingeben.