600 Sozialstunden für Totalverweigerer: Zwangsdienst für Totalverweigerer
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilt einen Totalverweigerer zu 600 Sozialstunden.
Das Urteil ließ das gute Dutzend Zuhörer im Saal B 131 des Amtsgerichts Tiergarten abrupt verstummen. Nicht nur zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilte Jugendrichter Ulrich Auffermann den Totalverweigerer Stefan Gierke, sondern auch zu 600 Sozialstunden. Damit werde ausgeglichen, was sich Gierke bislang an Zivildienstzeit erspart habe, so der Richter.
Gierke hatte im August vergangenen Jahres seinen Zivildienst als Hausmeister und Gärtner in einem Krankenhaus zwar zunächst angetreten, gleichzeitig aber angekündigt, nach zwei Wochen, wenn ein Ersatz für ihn gefunden wäre, den Dienst einzustellen. Er sei in den Monaten zwischen seiner Bewerbung und dem Beginn seines Zivildienstes zu der Überzeugung gelangt, dass, wer Kriege ablehne, auch den Zivildienst ablehnen müsse. "Zivildienst ist nur ein Kriegsdienst durch die Hintertür", sagte Gierke in seiner Verteidigung. Er sei nicht bereit, auch nur einen indirekten Kriegsdienst zu leisten.
Zudem warf Gierke den Einsatzstellen vor, mittels Zivis ihren Profit zu maximieren. Sie würden die Zivildienstleistenden als billige Arbeitskräfte an Stelle von qualifizierten Kräften einsetzen. Letztere stünden dadurch auf der Straße.
Die Staatsanwaltschaft forderte wegen Dienstflucht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Richter blieb schließlich bei vier Monaten - zuzüglich Sozialstunden. Eine reine Geldstrafe sehe das Gesetz nicht vor, um ein "Freikaufen" wohlhabender Verweigerer zu vermeiden, erklärte er.
Gierke kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Er habe sich zwar auf eine Bewährungsstrafe in Kombination mit Sozialstunden eingestellt, 600 seien für ihn jedoch nicht akzeptabel. Auch die Arbeitsstelle für Frieden und Abrüstung zeigte sich überrascht. Als "skandalöses Urteil" bezeichnet Ralf Siemens die Entscheidung. "Da wendet sich jemand gegen einen Zwangsdienst und wird mit Zwangsdienst bestraft." Er sieht gute Chancen für eine Berufung.
Ob Gierke über die Strafe hinaus noch damit rechnen muss, weiterhin vom Bundesamt für den Zivildienst einberufen zu werden, liegt ebenfalls in der Hand der nächsten Instanz. In der Praxis werde laut Siemens nur dann nicht weiter einberufen, wenn das Gericht eine Verweigerung als Gewissensgründen feststelle.
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