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60 Jahre "Zwischen Hamburg und Haiti"Schatzsuche für Alltagsflüchtige

Die NDR-Sendung "Zwischen Hamburg und Haiti" nimmt ihre Hörer seit 60 Jahren mit auf die Reise und will nach eigenem Anspruch "Kino fürs Ohr" bieten.

"Zwischen Hamburg und Haiti" feiert in diesem Monat 60-jähriges Jubiläum. Bild: complize / photocase.com

Klack, klack, kling! Wenn Modezar Karl Lagerfeld Skizzen zeichnet, ist das erstaunlich geräuschvoll. Die vielen Ringe des Exzentrikers schlagen bei seinen hektischen Handbewegungen immer wieder gegeneinander - klack, klack, kling! Hier im Hamburger Hörfunkstudio des Norddeutschen Rundfunks (NDR) kommt der Klang der Ringe als Audiodatei aus dem Rechner und sorgt für Begeisterung: "Das ist ne tolle Atmo!" - "Super!"

Die sich so freuen, sind Dörte Hansen-Jaax und Wolfgang Heinemann, die leitenden Redakteure der Reisesendung "Zwischen Hamburg und Haiti". Heute wird ein 30-Minüter über die Pariser Modewelt produziert, die Autorin des Beitrags hat O-Töne von Designern sowie Geräusche aus Ateliers und Modelagenturen eingefangen - einen Tag lang dauert die Produktion, dann ist "Zwischen Hamburg und Haiti" um eine Reportage reicher.

"Wir machen die schönste Radiosendung, die es gibt", sagt Wolfgang Heinemann zwischendurch ganz begeistert. Das lässt sich schwer überprüfen, fest steht: "Zwischen Hamburg und Haiti" feiert in diesem Monat 60-jähriges Jubiläum und ist damit die älteste Reisesendung im deutschen Rundfunk sowie eines der ältesten Radioprogramme Deutschlands überhaupt.

Geräusche aus Ateliers

Der spätere TV-Journalist Werner Baecker hatte die Idee und war am 16. Mai 1951 erstmals auf UKW zu hören. Es war die Zeit, in der viele Deutsche auch mal ohne Panzer und Marschgepäck in andere Länder reisen wollten, sich das aber nicht leisten konnten. Baecker linderte das Fernweh, indem er Geschichten aus aller Welt präsentierte. Politik kam in ihnen nur am Rande vor.

Bis zu zweieinhalb Millionen Hörer erreichte die Sendung in ihrer erfolgreichsten Phase in den 60er-Jahren, zurzeit sind es geschätzt 200.000. Ein Nischenprogramm, das aufgrund seines guten Rufes nicht in Frage gestellt wird; zahlreiche Beiträge wurden mit Preisen dekoriert. Für die Umsetzung von Ideen sind die ARD-Korrespondenten erste Ansprechpartner, manche Themen werden an freie Autoren vergeben - die bekommen allerdings keinen Reisekostenzuschuss und ein mageres Honorar von 1.500 Euro.

Derzeit läuft "Zwischen Hamburg und Haiti" drei Mal im Monat auf der Informationswelle NDR-Info unter der Leitung von Wolfgang Heinemann mit einem 30-minütigen Feature und ein Mal als Magazin mit mehreren kurzen Beiträgen, für die Dörte Hansen-Jaax verantwortlich ist.

Gewollt unpolitisch

Die Ansprüche der Macher sind hoch. Originelle Geschichten und stilistisch interessante Texte sind die Basis, dann geht es erst los: "Wir wollen Kino für die Ohren produzieren", sagt Heinemann. "Die Beiträge müssen opulent mit O-Tönen, Musik und Geräuschen ausgestattet sein." Das Rattern des A-Train in New York, die Glockenschläge in einem Kloster im laotischen Luang Prabang. "Unsere Autoren sind Schatzsucher auf der Jagd nach Tönen", sagt Hansen-Jaax. "Für einen Acht-Minuten-Beitrag bringen sie von ihren Reisen oft zwei Stunden Atmo und O-Töne mit. Da sind dann die Sekunden dabei, die den Unterschied zwischen einer guten und einer exzellenten Reportage ausmachen."

Internet-Angebote sehen Heinemann und Hansen-Jaax nicht als Konkurrenz: "Unsere Arbeit wird durch Online-Reiseseiten nicht beeinflusst", sagt Heinemann. "Im Netz holen sich die Leute Informationen über Hotels, Reiserouten oder Ähnliches. Wir dagegen greifen ein Ereignis oder eine bestimmte Person in einem Land heraus und vermitteln so über manchmal winzig kleine Begebenheiten einen emotionalen Eindruck von einer Region und regen die Fantasie an."

Wie schon zum Start vor sechzig Jahren geht es dabei unpolitisch zu. "Wir würden uns vermutlich schlecht fühlen, wenn wir auch im restlichen Programm keine harte Politik hätten", sagt Hansen-Jaax. "Aber NDR-Info macht ja kaum etwas anderes. Deshalb stehen wir dazu, dass die Hörer bei uns eine Alltagsflucht bekommen und sich wohl fühlen können." Wäre dieser Text ein Beitrag in ihrer Sendung, käme jetzt ein Meeresrauschen, sanfte klassische Musik oder ein ganz anderer Wohlfühl-Sound.

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