50 Jahre marokkanische Gastarbeiter: Das verschlafene Jubiläum
Vor 50 Jahren kamen die ersten Gastarbeiter aus Marokko nach Deutschland. Der Jahrestag findet in der Öffentlichkeit kaum Beachtung.
BERLIN taz | Als Mokhtar Azouagh vor fünfzig Jahren seiner Familie eröffnete, er wolle zum Arbeiten nach Deutschland gehen, erklärten ihn viele für besoffen oder krank. Drei Monate wartete er auf seinen Vertrag, bevor er sich in einem Omnibus auf den Weg nach Aachen machte.
Am 21. Mai 1963 hatte Marokko mit Deutschland ein Anwerbeabkommen unterschrieben, und Mokhtar Azouagh gehörte zu den ersten Marokkanern, die vor 50 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Als kürzlich das Jubiläum in Berlin mit einem Festakt gefeiert wurde, stand auch er mit auf der Bühne.
Drei Viertel aller Auswanderer aus Marokko leben heute in Europa. Sie stellen damit, nach der türkischen Bevölkerung, die zweitgrößte Migrantengruppe auf dem Kontinent. Die meisten von ihnen haben sich in Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden niedergelassen.
In Deutschland leben dagegen nur 160.000 Menschen, die marokkanischer Herkunft sind – die türkische Gemeinde, zum Vergleich, ist mit fast 2 Millionen Menschen deutlich größer. In den Medien und in der Öffentlichkeit sind Deutschmarokkaner entsprechend wenig präsent.
Anwerbestopp 1973
Die Anfänge der Migration aus Marokko liegen in den 1950ern, als für den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg während der Wirtschaftswunderjahre viele Arbeitskräfte aus südeuropäischen und nordafrikanischen Staaten angeworben wurden – zuerst aus Italien, dann aus Spanien und Griechenland, später aus der Türkei, Marokko und, in den späten 60er Jahren, aus Jugoslawien. Bis zum Anwerbestopp 1973 – bedingt durch die Ölkrise und die darauf folgende Rezession – kamen 22.400 Marokkaner nach Deutschland.
Doch nach 1973 zogen dann oftmals die Familien der Gastarbeiter nach. Die meisten Deutschmarokkaner leben heute in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Dort fanden in den letzten Monaten auch die größten Veranstaltungen zu dem Jubiläum statt, das im Rest der Republik kaum bemerkt wurde. Den Abschluss macht heute in Düsseldorf eine Rückschau, bei der noch einmal Bilanz aus drei Projektmonaten „50 Jahre marokkanische Migration in Deutschland“ gezogen werden soll.
Zineb Daoudi gehörte 1972 zu den ersten 50 jungen Frauen, die im Rahmen des deutsch-marokkanischen Anwerbeabkommens nach Deutschland kamen. In Nordrhein-Westfalen arbeitete sie sechs Jahre in einer Schokoladenfabrik, parallel dazu besuchte sie die Abendschule. „Man unterschätzt die marokkanische Gesellschaft, wenn man denkt, dass eine alleinstehende Frau damals nicht von zu Hause fortgehen konnte“, sagt sie.
Schließlich wartete in Deutschland ein fester Job auf sie. „Als ich nach Deutschland kam, habe ich gelernt, was es bedeutet, in einem Industrieland zu sein – im positiven wie im negativen Sinn“, erinnert sich Daoudi, die heute bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) arbeitet.
Altersarmut ist ein Problem
Kürzlich ergab eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dass 40 Prozent aller ausländischen Senioren in Deutschland an Altersarmut leiden – dreimal so häufig wie deutsche Rentner. Grundsicherung im Alter mussten ausländische Senioren sogar etwa sechsmal so oft in Anspruch nehmen wie die Deutschen. Der Grund dafür sind die niedrigen Einkommen, die viele ehemalige Gastarbeiter einst bekommen haben.
Auch wenn Marokkaner in der Studie nicht eigens ausgewiesen wurden, dürften sie davon besonders betroffen sein. Anders als etwa viele türkische Gastarbeiter, von denen 31 Prozent eine berufliche Qualifikation vorzuweisen hatten, brachten sie oft kein spezifisches Fachwissen mit.
Die meisten von ihnen kamen aus den Bergbaugebieten im Norden Marokkos und wurden in Deutschland im Steinkohleabbau eingesetzt. Andere kamen als un- oder angelernte Arbeiter in der Metall verarbeitenden Industrie, im Baugewerbe und in der Landwirtschaft unter.
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