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50 Jahre Abendschau"Gregor Gysi war ein Gottesgeschenk"

Die "Abendschau" vom RBB wird 50. Die Rentnersendung bemüht sich um jüngere Zuschauer. Doch "Abendschau"-Chef Peter Laubenthal warnt vor zu radikalen Veränderungen

taz: Herr Laubenthal, Herr Hingst, 1958 wurde nicht nur die "Abendschau" geboren, sondern auch Madonna. Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie?

Sascha Hingst: Optisch haben wir uns beide ganz gut gehalten.

Sprechen Sie da jetzt für sich oder für die Sendung?

Hingst: Für die Sendung natürlich. Ich bin ja noch keine 50.

Peter Laubenthal: Ich denke eher an die Muckis von Madonna. Und Muskeln hat diese Redaktion auch.

Welche Körperregion?

Laubenthal: Im Kopf.

Ihre Sendung ist also das intellektuelle Zentrum des RBB?

Laubenthal: Nein, das wäre eine Herabminderung der Kollegen von der Kultur, aber es ist schon eine intellektuelle Herausforderung und ein hartes Geschäft, an jedem Tag des Jahres, den der Herr geschaffen hat, eine spannende Sendung zu machen. Die Leute gucken Fernsehen ja meistens mit der Fernbedienung in der Hand, und in den Augenblicken, in denen Sie schwächeln, sind sie weg und nur schwer wiederzuholen.

Was unterscheidet die "Abendschau" von Madonna?

Hingst: Madonna macht Show. Wir sollten informieren und die Information als möglichst gute Unterhaltung in die Wohnzimmer bringen. Bei uns ist die Information also möglichst gut verpackt, bei ihr ist die Verpackung alles.

Laubenthal: Und anders als bei Madonna, die ja dafür geliebt wird, dass sie sich immer wieder neu erfindet, gehört bei einer Sendung wie der unsrigen viel Gewohntes und Vertrautes dazu. Wir würden unser Publikum verschrecken, wenn wir auch auf diesen Chamäleoneffekt setzen würden. Radikale Brüche führen geradewegs zum Genickbruch.

Also haben Sie Ihren Zuschauern viel zugemutet, als Sie vor einem Jahr nach dem Ausscheiden Ihres langjährigen Moderators Friedrich Moll gleichzeitig die Studiodeko, das On-Air-Design und den Moderator ausgetauscht haben?

Laubenthal: Stimmt. Von allen Seiten wurde uns gesagt: Das ist mindestens eine Änderung zu viel …

Hingst: Das hat der zukünftige Moderator übrigens auch gesagt.

Laubenthal: … aber ich hatte das Gefühl: Jetzt muss es sein, und es hat wunderbar funktioniert.

Warum wurden Sie engagiert, Herr Hingst?

Hingst: Mir wurde vermittelt, dass die "Abendschau" einen Moderator sucht, der frisch daherkommt und trotzdem seriös, also ohne boulevardesken Firlefanz. Negativ formuliert könnte man sagen: Ich bin ein ganz guter Durchschnittsberliner: weder der superhippe Friedrichshainer Szenegänger noch der Reihenhausbesitzer in der Vorstadt. Vielleicht passe ich deswegen so gut zur "Abendschau".

Laubenthal: Auf Durchschnitt wäre ich nie gekommen. Wir hatten die Latte hoch gelegt und trotzdem keine Garantie dafür, dass die Zuschauer den neuen Moderator gleich annehmen. Die letzten zwei Wochen vor seiner ersten Sendung konnte ich nachts nicht mehr durchschlafen und bin immer wieder schweißgebadet aufgewacht. Dann passierte, was ich so noch nie erlebt hatte: durchweg positive Post. Die Zuschauer haben sich die Mühe gemacht, uns zu dieser guten Wahl zu gratulieren.

War es schon immer Ihr Traum, eine Rentnersendung zu moderieren?

Hingst: Es war nie mein Traum, eine Rentnersendung zu moderieren, es ist nicht mein Traum, eine Rentnersendung zu moderieren, und ich moderiere auch keine Rentnersendung.

Ihre Zuschauer sind durchschnittlich 61 Jahre alt.

Hingst: Ich habe gehört, 59. Ich weiß ja nicht, wann Sie in Rente gehen wollen, aber ich fürchte, wir werden dann beide älter sein als 61. Die "Abendschau" hat eine Kernzuschauerschaft im Alter von 50 bis 70, aber auch viele jüngere Zuschauer. Ich habe Freunde, die sind jünger als ich und gucken die "Abendschau" - vielleicht nicht jeden Tag und auch nicht die ganze Zeit. Die zappen rein und wieder raus. Das geht mir als Zuschauer nicht anders. Natürlich gibts in der "Abendschau" auch Themen, die mich nicht interessieren, aber entscheidend ist doch, dass sich möglichst viele Berliner in der Sendung wiederfinden.

Welche Themen kommen Ihnen zu kurz?

Hingst: Das schräge, neue, moderne Berlin. Ich wäre mit der Sendung gern öfter mal an Orten wie der Bar 25, die ja eigentlich auch schon wieder Mainstream ist. Sie sehen: Es muss nicht ganz ausgeflippt sein, aber ein bisschen mehr wäre manchmal schon schön.

Klingt nach Aussteigerthemen für die "Abendschau"-Kundschaft.

Hingst: An Themen kann man es nicht wirklich festmachen, wann die Leute wegzappen. Wir hatten im vergangenen Jahr eine ganz tolle Serie zum Berliner Nachtleben in der Sendung, für die wir zum Beispiel in einer Russendisko waren. Ich hatte gedacht, die - wie Sie sagen - "Rentner" schalten dann weg - aber nein.

Laubenthal: Natürlich liegt es auch manchmal an uns, wenn Zuschauer wegzappen. Aber Sie können das hauptsächlich am Beginn von Konkurrenzsendungen wie dem "Perfekten Dinner" oder "Verliebt in Berlin" festmachen. Und wir wissen natürlich, dass gewisse Themen oder Personen nicht unbedingt die Superfessler sind, wir müssen sie aber bringen, um unserer Chronistenpflicht Genüge zu tun.

Zum Beispiel?

Laubenthal: Wenn donnerstags das Abgeordnetenhaus zu einem für Berlin sehr relevanten Thema tagt, können wir das nicht zugunsten der Stars fallen lassen, die gerade in der Stadt sind, auch wenn das Thema dröge ist und der verantwortliche Senator kein Publikumsliebling.

Wünschen Sie sich mehr Politiker wie Thilo Sarrazin?

Laubenthal: Sarrazin ist gut.

Hingst: Das wird die Überschrift dieses Gesprächs.

Laubenthal: Er ist eben ein Polarisierer, und die sind was Wunderbares für uns. Die erste Lektion eines Fernsehcoachs: Mache Themen und Personen, die polarisieren - das ist schon die halbe Miete. Es gab in Berlin nur einen Senator, der noch besser war als Sarrazin: Gregor Gysi - ein politisches Naturtalent und Gottesgeschenk für alle Journalisten. Schade, dass er seinen Job als Wirtschaftssenator vorzeitig geschmissen hat. Der hätte uns noch viel Freude beschert.

Sind die Politiker langweiliger geworden?

Laubenthal: Wir können uns die Landespolitik nicht backen, müssen nehmen, was da ist. Und unter Politikern gab es schon immer die Herbert Wehners und die Stinklangweiligen.

Zu welcher der Gruppen gehört Eberhard Diepgen?

Laubenthal: Diepgen? Der ist eher nicht Herbert Wehner.

Und auch nicht gerade als Fan Ihrer Sendung bekannt. Was hat er gegen die "Abendschau"?

Laubenthal: Diepgen ist ja nicht freiwillig aus seinem Amt ausgeschieden und macht wohl - wie das unter Berliner Politikern nicht unüblich ist - die "Abendschau" mitverantwortlich für das abrupte Ende seiner politischen Karriere.

In der Jubiläumsdoku des RBB sagt Richard von Weizsäcker, dass er nie auf die Idee gekommen sei, den Sender anzurufen, nur weil er sich über einen "Abendschau"-Bericht geärgert hat. Mit dieser Souveränität scheint er ziemlich allein zu sein.

Laubenthal: Ich finde seine Haltung sehr honorig und kann nur sagen, dass manche Politiker eben lieber telefonieren als andere.

Wie hoch ist der politische Druck auf die "Abendschau"?

Laubenthal: Vor allem in Wahlkampfzeiten werden wir schon aufmerksam beobachtet, werden Sekunden gezählt und die Auftritte einzelner Kandidaten. Wir führen deswegen dann prophylaktisch eigene Listen, um falsche Behauptungen widerlegen zu können.

Hingst: Wenn Politiker sauer sind auf die "Abendschau" und es nicht immer die gleiche Partei ist, spricht das doch eigentlich für uns. Bei anderen Arbeitgebern habe ich es schon erlebt, dass ein Regierungssprecher nach der Sendung angerufen hat, um sich zu beklagen, oder dass ich am nächsten Tag aus dem Rundfunkrat gehört habe, dass es Eingaben gab. Das ist mir beim RBB noch nicht passiert.

Vielleicht auch, weil die "Abendschau" nach der Wende an Bedeutung eingebüßt hat?

Laubenthal: Ich sehe keinen Bedeutungsverlust. Jeder, der in Berlin etwas verkaufen will, unternimmt immer noch allergrößte Anstrengungen, mit seinem Produkt in die Sendung zu kommen. Und, glauben Sie mir, der Funktion, die wir bis zum Mauerfall im geteilten Berlin hatten, weinen wir nun wirklich keine Träne nach. Wir freuen uns vielmehr darüber, dass junge, kreative Köpfe nach Berlin ziehen, um hier einen Job anzutreten oder ein Projekt zu starten. Ich gehöre ja noch zu der Generation, in der Berlin verlassen musste, wer Karriere machen wollte.

Hingst: Ich kann nicht nachvollziehen, ob es einen Bedeutungsverlust gab, dafür bin ich nicht lange genug dabei. Aber wenn ich sehe, wie viele Einladungen und Informationen man als Moderator dieser Sendung zugeschickt bekommt, kann ich mir das kaum vorstellen.

Auf welcher Party war es besonders schön?

Hingst: Ich geh gar nicht so viel auf Promiveranstaltungen. Aber ich fands zum Beispiel ganz schön, mit Ihnen bei der "Goldenen Henne" ein Sektchen zu trinken.

Laubenthal: Ich soll bei der "Goldenen Henne" gewesen sein?

Hingst: Mit Ihrer Frau!

Es war wohl mehr als ein Sektchen. Für welchen gesellschaftlichen Anlass verlassen Sie denn gerne die Redaktion?

Laubenthal: Das Schönste ist immer der Eröffnungsempfang der Filmfestspiele. Der macht wirklich Spaß, denn das ist einer der seltenen Momente im Jahr, in denen Sie spüren, dass Berlin Hauptstadt ist. Zumindest was den Film angeht, ist Berlin einen Abend lang der Nabel Deutschlands. Ein schönes Gefühl. Wir sind hier ja alle Lokalpatrioten.

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