: 45 Grad im Schatten
Mit der Überschrift „Abschied in Aussicht“ rechnet die DDR -Wochenzeitung 'Sonntag‘ mit der bisherigen Praxis der staatlichen Subventionierung und politischen Reglementierung des DDR-Filmwesens ab und kündigt eine radikale Veränderung der Kinolandschaft in der DDR bereits in den nächsten Monaten an. Es habe sich herumgesprochen, daß die Subventionen bereits zur Jahresmitte „fast gänzlich wegfallen“. Endgültig werde das die neue Regierung entscheiden. Da sich aber alle Parteien zur Marktwirtschaft bekannt hätten, sei nur eine solche Zukunft des Kinos denkbar. „Auch in der Kultur wird es Abschiede geben, denn die wirtschaftliche Selbständigkeit von Kinos ist mit alten Bürogewohnheiten nicht vereinbar, Kaffee-Kränzchen-GmbH haben keine Zukunft.“ In der Vergangenheit sei in der DDR die „Kunstfeindlichkeit des Kapitalismus“ der „Kunstfreundlichkeit eines real existierenden Sozialismus“ entgegengestellt worden. „Nun werden die historischen Totengräber von ihren Leichen besiegt, also ist Sterben angesagt.“ Die Zeitung spricht von einer „Vision vom unaufhaltsamen Zerfall eines Kulturbetriebes“ in der DDR, „der Zehntausende gesicherter Gehaltsempfänger“ ernährte. Mehr als 700 Kinos seien davon betroffen, 15 Bezirksfilmdirektionen und 200 Kreisfilmstellen. „Wohl kein Kulturbereich wurde so reglementiert wie das Lichtspielwesen“, heißt es. „Kinobesucher wurden organisiert. Schulklassen hatten bei politisch wichtigen Filmen geschlossen vor den Leinwänden zu sitzen.“ Von den 2.000 Personen in der Verwaltung seien „Manipulationskunststücke“ verlangt worden, die ein völlig falsches Bild von der tatsächlichen Auslastung der DDR-Kinos gegeben hätten. „Ich kenne Häuser, die in offiziellen Papieren mit 90prozentiger Auslastung ausgewiesen werden, aber durchschnittlich 20 Zuschauer pro Vorstellung in Sälen mit mehr als 300 Plätzen hatten.“ Kino sei nur dann existenzfähig, „wenn es von dem Ballast unnötiger Personalkosten befreit wird und sich als selbständiges Unternehmen in eine wie auch immer geartete Kinokette einordnen kann“. Das mehrmals totgesagte Kino sei „selbst unter den harten Bedingungen der bundesrepublikanischen Marktwirtschaft nicht gestorben“. Klar sei aber, daß in der DDR nicht wenige Mitarbeiter des Lichtspielwesens in nächster Zeit arbeitslos würden, „das Kino wird dennoch leben“.
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