40 Jahre taz: Leben und Arbeiten: Feldversuch am eigenen Leben
Vor allem in Westberlin und Hessen boomte die Selbstverwaltungsszene: Arbeit und Leben sollte verbunden werden. Die Idee ist quicklebendig.
Ende der 70er Jahre war die Zeit reif, jenseits von dogmatischen linken Forderungen die eigene Zukunft anzupacken. Was sich auf dem Tunix-Kongress zeigte, war das große Bedürfnis vieler, endlich loszulegen, um sich eigene Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Gleichberechtigung, Vergesellschaftung der Betriebe, überschaubare Arbeits- und Lebenszusammenhänge, kreative Kultur zum Selbermachen, Ökologie und lokale Selbstversorgung – so lauteten die kühnen Visionen.
1978/79 waren effektive Gründerjahre mit Langzeitwirkung in Westberlin: Die taz begann mit der Arbeit, der Netzwerk-Fonds, der erste CSD, die Alternative Liste (die heutigen Grünen), der Mehringhof, das Krauti-Frauenkollektiv und die ufaFabrik.
Allgemein boomte die Selbstverwaltungsszene, vor allem in Westberlin und Hessen. Hunderte von kleinen Kollektiven, Betrieben und Lebensgemeinschaften entstanden und probten Selbstbestimmung bei gleichem Lohn und gleichen Rechten.
Am 27. September 1978 erschien die erste sogenannte Nullnummer der taz. Es gab noch keine tägliche Ausgabe, aber einen kleinen Vorgeschmack auf das, was die Abonnent*innen der ersten Stunde von der „Tageszeitung“ erwarten können. Die erste Nullnummer können Sie sich
.In Erinnerung an die allererste taz-Ausgabe haben die taz-Gründer*innen am 26. September das Ruder übernommen und die Printausgabe der taz vom 27. September 2018 produziert. Dieser Text stammt aus unserer Gründer*innen-Sonderausgabe.
Um sich auszutauschen, gegenseitig Mut zu machen und andere zu begeistern, trafen sich 1981 zwölf von ihnen. Die ufaFabrik, Lebensgemeinschaft mit Circus und Kulturcentrum, war mit dabei und bekam den Auftrag, mit der taz um eine regelmäßige Berichterstattung über die Szene zu verhandeln.
Als kollektiv geführte Zeitung war sie das Medium der Wahl und in der damaligen Redaktion gab es Zustimmung. Nun trafen sich die zwölf Betriebe monatlich, stimmten Inhalte ab und sammelten das nötige Geld für den Druckkostenzuschuss. Frauen aus der ufaFabrik fuhren mit den Manuskripten zum vereinbarten Zeitpunkt in die taz-Redaktion, dort wurde gesetzt und layoutet; immer mit dabei die Brotkiste aus der ufaFabrik-Bio-Bäckerei als Motivationsschub für Setzer und Redakteure.
In der ersten Ausgabe der „Betriebszeitung“ vom April '82 hieß es: „Wir werden ab jetzt jeden 1. Donnerstag im Monat über uns selbst berichten und verzichten auf weitere Spekulationen von Professoren, Experten und Regierung, die uns zu ‚Alternativen‘ und ‚Aussteigern‘ abstempeln wollen, Begriffe, die nur dazu dienen, uns zu einer kalkulierbaren Fraktion zu machen, zu einer kleinen Minderheit, die zu keiner gesellschaftlichen Relevanz werden darf.“
Selbstbewusst berichtet wurde vom Alltag der Reisenden Gesellen Axt und Kelle, aus der Schäfereigenossenschaft Finkhof, von den Arbeiterselbsthilfen Köln und Oberursel, aus der Pioniersiedlung Reinighof und von besetzten Häusern. Es wurde aufgezeigt, was diese Projekte leisteten, wie Arbeit und Zusammenleben funktionierten, es gab Aufrufe zu Spendenaktionen, zur Gründung neuer Kollektive, Einladungen zu Diskussionsrunden und Projektemessen über solidarische Ökonomie und ökologisches Leben, meist mit viel Optimismus und Aufbruchstimmung versehen.
Weniger erzählt wurde über die kräftezehrenden Begleiterscheinungen dieser sozialen Forschungsgemeinschaften, über nächtelanges Diskutieren, das Ringen um den berühmten Konsens, individuelle Grenzerfahrungen, freiwillige Selbstausbeutung, moralischen Gruppendruck, politische Grabenkämpfe, selbstverwaltete Schulden und den Spagat zwischen Anspruch und Wohlfühlen – über den Alltag eben.
Gespräche darüber fanden im Privaten statt und bewirkten, dass aus der „Betriebszeitung“ die „Wendezeit“ wurde, frei nach dem Systemtheoretiker Fritjof Capra, der in seinem 1982 veröffentlichten Buch „The turning point“ einen Wandel der Weltanschauung zu einer ganzheitlichen und ökologischen Sicht forderte. 56 Ausgaben wurden produziert, dann übernahm die Monatszeitung für Selbstorganisation „Contraste“ die Funktion als eigenständiges Medium der Selbstverwaltungsszene.
Und heute? Wo sind sie geblieben, die alternativen Betriebe von damals? Viele sind verschwunden, etliche sind noch da und haben ihre Wirtschaftsform so angepasst, dass sie überlebensfähig blieben, so wie es ufaFabrik und taz getan haben. Auf den allumfassenden Paradigmenwechsel in der Welt der Wirtschaft warten wir noch. Geblieben sind die Erfahrungen derjenigen, die damals experimentierten und herausfanden, welche Werte ihre Welt von morgen bereithalten sollte.
Leute mit Begeisterung für sinnstiftende Arbeitsbedingungen, die gut für Mensch und Umwelt sind, wachsen immer wieder nach; zu entdecken zum Beispiel in den „Wandelwochen 2018“ in Berlin und Brandenburg. Da zeigen sich Wohnprojekte und Kommunen, solidarische Landwirtschaften und Gemeinschaftsgärten, Genossenschaften und Kollektive, vielfältige Ressourcenpools und kreative Start-ups. Es wird diskutiert, probiert, geschnippelt und kooperiert und manches Wohnprojekt profitiert von den Erfahrungen der Elterngeneration in den 80er Jahren.
Und was habe ich damit zu tun? Im ufaFabrik Circus von 1982 gab es eine Nummer, die Zeitungszauberei. Dort habe ich hunderte Male aus einem Boulevard-Blatt eine taz gezaubert, eine Liebeserklärung und vergnügliche Aufforderung an die Zuschauenden: Ihr könnt eine Zeitung lesen, die schreibt, was Euch wirklich interessiert. Also los, geht sie kaufen!
Die Autorin ist Mitbegründerin der ufaFabrik und dort seit 39 Jahren im kollektiven Dauerdienst.
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